Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
fuhren, sondern auf einen abgelegenen Weg abbogen und dann mitten im Wald anhielten, müssen sie zu dem Schluss gekommen sein, dass die Polizisten Ihnen etwas antun wollten. Dabei war das alles ein riesengroßes Missverständnis.«
»Warum?«
»Man wollte Ihnen nur ein wenig Angst machen. Dallmann hätte Sie zur Polizeidirektion nach Weiden gebracht und dort ein paar Stunden lang festgehalten. Wie gesagt, er musste Zeit schinden, um im Greiner Bühl aufzuräumen. Er wollte Ihnen nichts antun. Aber dann ging alles schief. Der Polizist, der Sie gefahren hat, hat ausgesagt, dass Sie furchtbar zu keuchen anfingen. Deshalb hielt er an. Er stieg aus, um seine Kollegen zu Hilfe zu holen. In diesem Moment stieg die Feuersäule vor ihnen hoch, und im nächsten Moment stand auch noch der Polizeiwagen in Flammen.«
Anjas Bewusstsein enthielt keine Spur von diesen Vorgängen. Alles war wie ausgelöscht. »Und dann?«
»Dallmann wurde sofort benachrichtigt. Er war kaum bei dem ausgebrannten Polizeifahrzeug angekommen, als die Unfallmeldung einging. Er fuhr sofort hin. Kurz darauf trafen zwei Sanitätswagen ein und bald darauf ein Rettungshubschrauber für Sie. Den beiden Männern war nicht mehr zu helfen. Als Dallmann erfuhr, dass die beiden Gollas-Brüder tot waren und Sie lebensgefährlich verletzt, hat er die Nerven verloren. Seine letzte Amtshandlung war, eine Fahndungsmeldung nach Alois Leybach auszugeben. Dann meldete er sich vom Dienst ab. Am Montagmorgen erstattete er Anzeige gegen sich selbst sowie gegen seinen Vater Gustav, gegen Rudolf Heinbichler und Albrecht Gollas. Dann wurde er auf eigenen Wunsch vorläufig vom Dienst suspendiert. Leybach wurde am Montagabend in Passau verhaftet. Seither geht es hier drunter und drüber.«
Er öffnete seine Aktentasche und zog einen Stapel Zeitungsausschnitte hervor.
»Herr Dr. Breit, sie darf noch nicht lesen«, warnte Franziska.
»Oh. Nun ja. Ich lasse sie trotzdem hier. Vielleicht können Sie Ihrer Tochter sagen, was darin steht.«
Anja versuchte, einen Blick auf den Stapel Zeitungsartikel zu werfen, doch ihre Mutter hatte sie bereits zur Seite gelegt.
»Was passiert jetzt?«, wollte Anja wissen.
Dr. Breit schloss seinen Bericht ab: »Gustav Dallmann, Rudolf Heinbichler und Albrecht Gollas sind am Montag befragt worden. Gustav Dallmann und Albrecht Gollas haben bis jetzt jede Aussage verweigert. Rudolf Heinbichler hingegen ist kooperativ. Er hat eingewilligt, den Ermittlern die Stelle im Greiner Bühl zu zeigen, wo im Herbst 1979 die Überreste der Toten aus dem Haingries vergraben wurden. Inzwischen ist die Nachricht um den Erdball gegangen, und Sie können sich nicht vorstellen, was jetzt los ist. Siebzehn Generalkonsulate haben bisher Demarchen gestartet und Auskunftsersuchen gestellt. Täglich kommen weitere dazu. Opferverbände aus Belgien, Frankreich und Spanien haben sich gemeldet und angeboten, beim Versuch der Identifizierung der Toten zu helfen und Archivmaterial zu schicken. Der internationale Suchdienst für Holocaustopfer ist natürlich eingeschaltet, und sobald die Polizei und die Gerichtsmedizin ihre Arbeit gemacht haben, wird man versuchen, so weit wie möglich zu rekonstruieren, wer die Getöteten waren, wie sie zu Tode kamen und was sich im April 1945 in Faunried und Umgebung genau abgespielt hat. Da einige der Täter noch leben, werden wir wohl noch eine Menge Einzelheiten erfahren, vorausgesetzt natürlich, sie sagen aus. Bisher hat nur Rudolf Heinbichler eine Teilaussage gemacht.«
Er deutete auf ein Glas auf Anjas Nachttisch. »Darf ich?«
»Ja. Natürlich.«
Er goss sich Wasser ein und trank. Anja wusste nicht, welche Frage sie zuerst stellen sollte. Gleichzeitig spürte sie bereits wieder diese Müdigkeit, die entweder ihr verletzter Kopf oder die Medikamente verursachten.
»Ich muss jetzt leider gehen«, sagte er dann, »werde aber morgen wiederkommen.«
»Was ist mit Papa?«, fragte Anja ihre Mutter. »Weißt du, wo Papa ist?«
Franziska Grimm versuchte zu antworten, aber sie konnte nicht.
Dr. Breit wartete respektvoll ab und antwortete schließlich für sie: »Ihr Vater liegt im sogenannten Buchschlag, etwa achthundert Meter von Faunried entfernt. Die Stelle ist von der Kriminalpolizei bereits markiert, der Boden wurde aber auf Wunsch Ihrer Mutter noch nicht geöffnet.«
Er warf Franziska einen Blick zu.
»Ich wollte warten«, sagte sie, bemüht, ihre Fassung zu bewahren. »Ich wollte warten, damit du dabei sein kannst.«
Anja
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