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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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bremste er.
    »Schau im Handschuhfach nach!«, schrie Lukas zwischen zwei Atemzügen. »Dort muss ihr Spray sein.« Sie hörte Ruperts Schritte und ein metallisches Rütteln. Dann folgten mehrere dumpfe Schläge und das Klirren von Glas. Wieder spürte sie Lukas’ Atem in sich. Dann schob ihr jemand etwas Kaltes, Hartes zwischen die Lippen. Im nächsten Moment erfüllte ein vertrauter Dampf Mund und Rachen. Sie versuchte, das Spray so tief sie irgend konnte zu inhalieren, aber sie vermochte kaum einzuatmen. Sie wiederholte den Versuch. Einmal, zweimal, dreimal. Allmählich löste sich der Krampf. Sie zog langsam Luft in sich hinein, wartete, atmete wieder aus, nickte, um Lukas zu signalisieren, dass er den Inhalator noch einmal betätigen sollte, sog das Spray nun tiefer ein, wartete und wiederholte den Vorgang noch einmal. Lukas hatte sie inzwischen ein wenig aufgerichtet und schnallte sie sofort fest. Rupert raste bereits wieder über die Landstraße. Anja keuchte schwer. Lukas strich ihr immer wieder über die Stirn.
    »Diese Verbrecher«, sagte er nur. »Diese verdammten Verbrecher. Das werden sie bezahlen, Anja. Das verspreche ich dir.«
    Sie blickte verwirrt um sich. Sie sah noch den Lichtstrahl, der mit einem Mal ungewöhnlich hell und blendend in das Wageninnere fiel. Rupert schrie auf. »Was macht der …«
    Dann krachte etwas seitlich gegen ihren Wagen. Lukas flog gegen die Tür. Die Wucht der Kollision war so stark, dass sein Kopf die Scheibe zertrümmerte. Anja schrie auf. Doch die Welt war bereits ein sich wild drehendes Chaos aus umherfliegenden Glasscherben und Schreien. Ruperts Oberkörper wurde wie der einer Puppe hin und her geschleudert. Lukas war nicht mehr da. Die Tür war weggerissen. Anjas Gurt presste ihre Lunge zusammen und schnitt ihr in den Bauch. Dann gab es einen Schlag, und sie wusste nichts mehr.

58
    A nja? Kannst du mich hören? Bitte, Kind. Kannst du mich hören?«
    Sie versuchte zu nicken. Aber sobald sie den Kopf bewegte, hatte sie das Gefühl, ihr Nacken würde langsam durchschnitten. Auch mit ihren Augen war etwas nicht in Ordnung. Sie konnte die Lider nicht öffnen. Alles war dunkel. Und bevor sie noch länger über ihre Situation nachdenken konnte, wurde auch schon wieder alles still.
    Als sie die Stimme ihrer Mutter das nächste Mal hörte, gehorchte ihr Körper ihr noch immer nicht. Mit den Augen war etwas geschehen. Nun sah sie einen roten Schimmer. Sie konnte keine Gegenstände ausmachen, aber da war irgendwo Licht. Jedenfalls so lange, bis sie vor Erschöpfung wieder einschlief.
    Später erfuhr sie, dass sie fast drei Tage in diesem Zustand verbracht hatte, zwischen Himmel und Erde sozusagen. Dann hatte entweder der Himmel beschlossen, dass er sie noch nicht wollte, oder die Erde, dass man sie dort noch brauchte. So jedenfalls drückte sich der Arzt aus.
    Als es zum ersten Mal gelang, die Augen zu öffnen, saß ihre Mutter an ihrem Bett. Sonja war bei ihr. Das nächste Mal war Sonja verschwunden und nur noch Franziska im Raum, die von nun an immer anwesend war, wenn sie zu sich kam. Sie wich nicht von ihrer Seite und hatte sogar kleinere Pflegedienste übernommen.
    Anja begriff erst nicht, warum die Situation sich plötzlich verkehrt hatte. War nicht ihre Mutter krank gewesen? Wieso lag sie selbst jetzt hier? Das Nachdenken fiel ihr schwer. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie hierhergekommen war. Das Letzte, was sie mit Sicherheit wusste, war, dass sie etwas sehr Wichtiges vorgehabt hatte. Lukas. Es hatte mit ihm zu tun gehabt. Sie war bei ihm gewesen. Sie hatten die Nacht zusammen verbracht. Sie war ziemlich früh am Morgen gegangen, und dann hatte sie dieses ehemalige Gefangenenlager besucht. Das Foto von Johanna Ruschka. Die Zeigerpflanzen. Das Gespräch mit Lukas. Je länger sie darüber nachsann, desto mehr Einzelheiten kehrten zurück. Er hatte sie angeschrien und war wütend weggefahren. Und dann? Was war dann passiert? Sie konnte sich bemühen, sosehr sie wollte: Sie erinnerte sich einfach nicht. Sie war im Wald gewesen. Aber dann? War sie gestürzt? War ihr dort etwas auf den Kopf gefallen? Tat er deshalb so höllisch weh?
    »Du hast einen Schädelbruch, Anja. Aber es wird alles wieder gut, du musst nur sehr, sehr ruhig liegen und dich ausruhen.«
    Das würde ihr nicht schwerfallen. Sie war furchtbar müde.
    »Was ist passiert, Mama?«
    »Du hattest einen Autounfall. Aber es war nicht deine Schuld.«
    Ein Autounfall. Aha. War sie von der Straße abgekommen?

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