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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ließ ihr Zeit, sich zu sammeln.
    »Er … er hat auch mich bedroht«, sagte sie leise.
    »Sie?«, entfuhr es ihm.
    Anja war völlig durcheinander. Aber Gerlach ließ ihr nicht viel Zeit für eigene Gedanken. »Xaver Leybach hat Sie bedroht?«, wiederholte er insistierend.
    »Ja.«
    »Wann? Und wo?«
    »Heute. Nachdem wir fertig waren, bin ich noch einmal zum Haingries zurückgekehrt, um eine fehlerhafte Probe zu überprüfen. Da stand er plötzlich hinter mir, mit dem Gewehr im Anschlag. Er zielte auf meinen Kopf.«
    »Wie bitte?«
    Anja schluckte. Die entsetzte Reaktion des Polizisten verstärkte die Erinnerung jetzt noch. »Ich glaube nicht, dass er wirklich schießen wollte. Er wirkte … wie soll ich sagen? Panisch, erregt, durcheinander. So ähnlich wie am Vortag.«
    »Und Sie? Was haben Sie gemacht?«, fragte er ungläubig.
    »Ich habe so lange leise auf ihn eingeredet, bis er das Gewehr wieder sinken ließ. Fragen Sie mich nicht, wie mir das gelungen ist. Aber er hat nicht geschossen.«
    Gerlach schrieb konzentriert mit. »Um Gottes willen«, stammelte er bestürzt und machte sich hastig Notizen. »Das wird ja immer besser. Hat er denn irgendetwas gesagt?«
    »Nein. Anfangs nicht. Erst als er das Gewehr wieder heruntergenommen hatte. Aber es war wieder nur wirres Zeug. Ich dürfe den Wald nicht stören. Sein Vater habe es verboten. Er würde in die Hölle kommen, wenn jemand den Wald störe. Das war alles.«
    Gerlach schrieb mit. »Und dann?«
    »Dann ging er davon.«
    »Wohin?«
    »In Richtung Hinterweiher.«
    »Und was haben Sie getan?«
    »Ich bin, so schnell ich konnte, zum Wagen gegangen. Ich war ziemlich durcheinander, wie Sie sich wohl vorstellen können. Ich konnte Obermüller nicht einmal schildern, was vorgefallen war, so erschrocken war ich noch.«
    »Ja«, bemerkte Gerlach einfühlsam und betrachtete sie mit Interesse und Respekt. »Sie standen bestimmt unter Schock.«
    »Ja. Vielleicht. Jedenfalls sind wir dann erst einmal losgefahren. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich nicht besser gleich zur Polizei gehen sollte, um den Zwischenfall zu melden. Ich hätte das sicher auch getan. Aber nachdem wir ein paar Kilometer zurückgelegt hatten, durchfuhr mich ein ganz anderer Gedanke. Deshalb habe ich Obermüller genötigt, umzukehren und zum Haingries zurückzufahren.«
    »Und was für ein Gedanke war das?«
    Sie schaute Gerlach aus geröteten Augen an. »Herr Gerlach«, begann sie, »ich glaube, dass Xaver Leybach in seinem Leben schon einmal einen Menschen getötet und im Haingries vergraben hat. Deshalb wollte er nicht, dass wir dort Bodenproben entnehmen.«
    Gerlach öffnete den Mund, aber Anja sprach schon weiter: »Ich glaube, dass er deshalb so aggressiv auf unsere Arbeit im Haingries reagiert hat. Deshalb bin ich ja noch einmal zur Wildwiese zurückgekehrt.«
    Gerlachs Mund stand noch immer offen. Er brachte kein Wort heraus. Dann runzelte er ungläubig die Stirn, schüttelte den Kopf und fragte: »Aber … wen soll Xaver Leybach denn Ihrer Ansicht nach getötet haben?«
    »Meinen Vater«, antwortete sie ruhig.
    Wenn Sie dem Mann, der ihr gegenübersaß, eröffnet hätte, dass im Leybachforst soeben eine fliegende Untertasse gelandet sei, hätte er wohl ein ähnliches Gesicht gemacht. Ohne ein weiteres Wort erhob er sich und verließ den Raum, das Handy schon am Ohr, bevor er die Tür hinter sich schloss. Anja blickte durch die Scheiben in den Schankraum hinaus. Obermüller saß noch immer am selben Platz vor einem frischen Glas Bier und hatte sich offenbar auf eine längere Wartezeit eingestellt. Sie ließ ihren Blick über die anderen Köpfe schweifen und blieb an einem Augenpaar hängen, das direkt auf sie gerichtet war. Rupert Gollas saß mit drei Männern an einem Tisch und starrte sie mit zusammengekniffenen Lippen an. Sie hielt dem Blick einige Sekunden lang stand und versuchte zu ergründen, warum er auf diese Weise zu ihr hinsah. Dann schweifte ihr Blick weiter. Überall saßen Männer und steckten die Köpfe zusammen.
    Jetzt ist das hier also ein Ort, wo ein Mörder gelebt hat, dachte sie. Und was für einer! Ein Mutter- und Selbstmörder. Im kleinen, beschaulichen Faunried. Ihr Blick wanderte noch einmal zu Rupert, dessen lauernde Augen unverändert auf sie gerichtet waren. Warum starrte der Mann sie so an?
    Gerlach kam zurück. »Frau Grimm, mein Vorgesetzter möchte Sie sprechen. Wären Sie bitte so nett?«
    Er reichte ihr das Handy. Sie nahm es und drückte sich das warme

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