Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
ja«, seufzte er ein wenig theatralisch, »moderne Frauen.« Damit drückte er ihre Hand. »Auf bald, Anja.«
Sie sah ihm nach, wie er das Café verließ und zu seinem Wagen ging, den er auf dem Marktplatz geparkt hatte. Sie schaute auf seine leergetrunkene Tasse vor sich auf dem Tisch und blickte dann wieder durch die Scheibe nach draußen auf die Parklücke, wo sein Wagen gestanden hatte. Dann klingelte ihr Handy.
»Frau Grimm?«
»Ja?«
»Mein Name ist Weber. Polizeidirektion Weiden. Hauptkommissar Dallmann ist heute Vormittag verhindert. Könnten Sie bitte gegen sechzehn Uhr vorbeikommen?«
Sie sagte zu, ohne sich ihre Verstimmung über die Verschiebung des Termins anmerken zu lassen, und legte wieder auf. Was sollte sie mit diesem verplanten und zugleich leeren Tag anfangen? Für ein paar Stunden ins Büro gehen? Der Regen hatte wieder eingesetzt. Nein, dachte sie. Sie würde schwimmen gehen.
13
K onrad Dallmann hatte wenig Zeit, und entsprechend schnell fuhr er die Strecke von Weiden nach Amberg. Eigentlich wollte er gar nicht ankommen. Was vor ihm lag, behagte ihm nicht. Überhaupt nicht. Aber er hatte keine Wahl. Er konnte unmöglich diese Frau empfangen, ohne verstanden zu haben, was er heute Morgen gelesen hatte. Er bremste, weil er wusste, dass um die Ecke ein Starenkasten hing, der zu den lukrativsten im Kreis gehörte. Kein Wunder. Es bedurfte wirklich großer Beherrschung, hier die Geschwindigkeit auf dreißig zu drosseln. Er rollte an der Radarfalle vorbei und trat das Pedal wieder durch.
Zehn Minuten später hielt er vor dem Haus, in dem er aufgewachsen war. Sein Vater hatte ihn nicht erwartet und erkannte ihn nicht, als er die kleine Tür in den Vorgarten öffnete. Er drehte sich um und hatte sein misstrauisches, abweisendes, mürrisches »Was will denn der von mir«-Gesicht aufgesetzt. Erst als Konrad Dallmann die Entfernung überwunden hatte, jenseits deren Gustav Dallmann ohne Brille nur noch verschwommene Formen wahrnahm, lösten sich die Gesichtszüge des Dreiundsiebzigjährigen.
»Konrad«, rief Gustav Dallmann freudig überrascht. »Na so was. Du hier? Mitten in der Woche. Das bedeutet doch hoffentlich nichts Schlimmes. Hast du in Amberg zu tun?«
Konrad Dallmann schüttelte seinem Vater die Hand, stellte die schwere Tasche, die er in der Linken trug, auf einer Bank ab, die unter einem kleinen Glasvordach neben der Eingangstür stand, und sah sich um. Der Garten stand voller Herbstblumen. Es war zwar kein Vergleich zu früher, als seine Mutter noch lebte, aber sein Vater hatte dazugelernt. Der Vorgarten war sehr gepflegt. Die weißen Herbstastern, die Konrads Mutter einst angepflanzt hatte, blühten bereits. Der Anblick der frühen Winterboten stimmte Konrad Dallmann allerdings nun doppelt wehmütig: sowohl im Andenken an seine Mutter als auch im Hinblick auf den wahrscheinlich kurzen Herbst, den die Astern ankündigten.
»Komm«, sagte er zu seinem Vater und fasste ihn leicht am Arm. »Du hast doch sicher einen Kaffee für mich, oder? Ich habe nicht sehr viel Zeit und muss dringend etwas mit dir besprechen.«
Sie betraten das Haus durch den Seiteneingang, der in die Küche führte. Gustav Dallmann setzte die Kaffeemaschine in Gang, und sie plauderten eine Weile über dies und das, während das Wasser gurgelnd durchlief.
»Musst du mal entkalken«, bemerkte Konrad, als die Maschine unter beträchtlicher Dampfentwicklung und mit wahrem Getöse den Brühvorgang endlich abgeschlossen hatte.
»Lohnt nicht mehr. Hab schon eine neue bestellt. Hier. Milch? Zucker?«
Er stellte alles auf den Tisch. Dann setzte er sich hin, faltete die Hände, blickte seinen Sohn zufrieden an und nickte ihm zu. »Und sonst? Was gibt’s Neues, Konrad?«
Konrad Dallmann griff nach seiner Tasche. Mitten in der Bewegung besann er sich jedoch anders, stellte sie wieder ab und fragte: »Hast du schon Zeitung gelesen oder Fernsehen geschaut?«
»Ach, du kennst mich doch. Warum? Habe ich etwas Wichtiges verpasst?«
»Xaver Leybach hat sich gestern erhängt, Vater. Im Haingries.«
Der alte Mann blinzelte zweimal kurz. »Xaver Leybach«, wiederholte er nur und fügte dann hinzu: »Wann?«
»Gestern Nachmittag.«
»Das ist ja furchtbar. Nein, das wusste ich nicht.«
»Das ist leider noch nicht alles. Bevor er sich erhängt hat, hat er seine Mutter erschlagen. Mit einem Spaten. Im Stall des Leybachhofs.«
Gustav Dallmann lehnte sich langsam auf seinem Stuhl zurück. Was immer die Nachricht in ihm auslöste:
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