Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
tun? »Hat Xaver diesen Lehrer umgebracht?«
»Was sagen denn die Akten?«
»Lassen wir die Akten erst einmal beiseite. Ich will deine Meinung hören.«
»Wozu?«
»Um diese Akten besser zu verstehen. Ich würde gerne wissen, in welche Richtung du damals ermittelt hast. Was wolltest du eigentlich herausfinden?«
Der Alte trank erneut einen Schluck Kaffee. »Herausfinden? Die Wahrheit natürlich. Was glaubst du denn? Aber das ist ziemlich lange her, Konrad. Wie soll ich …«
»Es ist zwanzig Jahre her. Aber sogar ich kann mich noch an die Sache erinnern. Es hat ja die ganze Gegend beschäftigt.«
»Und du bist vom Fach, Konrad. Du weißt sehr gut, wie nervenaufreibend Ermittlungen in so einem Fall sein können. Hier war die Hölle los, als der Mann verschwunden ist. Der ganze Kreis in heller Aufruhr. Üble Gerüchte. Dazu die Presse. Und wochenlang keinerlei Hinweise, ob wir es überhaupt mit einem Verbrechen zu tun hatten oder nicht eher mit einem Unfall.«
»Aber du bist von einem Unfall ausgegangen, oder?«
Gustav Dallmann verzog den Mund. »Ja, natürlich. Was denn sonst?«
Konrad nickte. »Und deshalb hast du Xaver zwar verhört und Mordermittlungen durchgeführt, aber eben nur halbherzig und oberflächlich.«
Dallmann erhob sich, sichtlich erregt. »Oberflächlich!« Er schnaubte. »Hat dich schon einmal der Mob vor sich hergetrieben, Konrad? Ich wünsche es dir nicht, mein Junge. Nichts, rein gar nichts wies darauf hin, dass dieser Lehrer einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Aber sein Verschwinden war mysteriös. Unerklärlich. Also fing das Getratsche an. Die üblichen Verdächtigungen. Und die trafen natürlich irgendwann Xaver, diesen armen Teufel. Also habe ich ihn mir vorgeknöpft. Und keineswegs halbherzig oder oberflächlich, wie du behauptest. So etwas verbitte ich mir. Der Xaver war krank. Deppert. Das wussten alle. Aber er war noch nie gewalttätig gewesen. Und ein Motiv, diesem Lehrer etwas anzutun, hatte er schon gar nicht.«
Konrad nickte. »Ja. So habe ich mir das auch zusammengereimt, aber …«
»Aber?«
»Warum hast du keine Hausdurchsuchung vorgenommen?«
»Ich habe keine Hausdurchsuchung vorgenommen?«
»Nein.«
Gustav Dallmann zuckte mit den Schultern. »Frag den Richter. Vermutlich waren die Verdachtsmomente nicht ausreichend.«
»Du hast gar keinen entsprechenden Antrag gestellt.«
»Was sollen diese Fragen, Konrad?«, erwiderte Dallmann unwirsch. »Vermutlich erschien es nicht zweckdienlich. Wenn ich mich richtig entsinne, ist Xaver erst Wochen nach dem Verschwinden des Lehrers ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten. Was soll denn da eine Hausdurchsuchung noch bringen?«
»Vor allem, da du auf dem Leybachhof regelmäßig ein und aus gegangen bist, mit Alois Leybach gut befreundet warst, Anna seit Jahren kanntest und es dir daher sicher auch unangenehm gewesen wäre, im Morgengrauen mit einer Durchsuchungsmannschaft aufzutauchen.«
Dallmann schüttelte nur abweisend den Kopf.
»Warum hast du die Ermittlungen nicht abgegeben?«, insistierte sein Sohn. »Das hätte der Staatsanwalt doch sicher verstanden. Du kanntest diese Leute alle persönlich sehr gut.«
Dallmanns Gesicht wurde rot vor Empörung. Er wollte etwas erwidern, aber Konrad Dallmann kam ihm zuvor. »Jeder, der diese Akten liest, wird sich das fragen, Vater. Jeder sieht sofort, wie viele Brücken du diesem Xaver in den Verhören gebaut hast. Ich bin nicht hier, um dich dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Aber wenn diese Anja Grimm Strafanzeige stellt, wird diese Akte herumgehen. Deshalb bin ich hier. Ich will, dass es erst gar nicht so weit kommt, dass du dich rechtfertigen musst.«
Gustav Dallmann musterte seinen Sohn, und seine schroffen Züge milderten sich. »Strafanzeige, Konrad? Gegen einen Toten? Wozu denn das?«
»Vielleicht um neue Ermittlungen zu erzwingen? Warum ist die Frau überhaupt hier? Bestimmt fragt sie sich noch immer, was damals geschehen ist. Xavers Wahnsinnstat kann durchaus dazu führen, dass ein Staatsanwalt entscheidet, in dieser Sache neu zu ermitteln, falls die junge Frau das anstrebt. Wenn dabei Ermittlungsfehler entdeckt werden, wie stehen wir dann da? Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
Gustav Dallmann winkte müde ab. »Mach dir keine Sorgen, Konrad.« Er beugte sich zu ihm hin und schlug den Aktendeckel des geöffneten Ordners zu, ohne auch nur einen weiteren Blick hineinzuwerfen. »Diese Sache mag ungeklärt geblieben sein, aber sie ist
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