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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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lassen? Hat sich niemand um ihn gekümmert?«
    Lukas war das Thema sichtlich unangenehm. »Das verstehst du nicht, Anja. Die Leybacher und wir, das war immer schwierig. Meine Mutter zum Beispiel ging fast nie zum Leybachhof. Schon früher nicht, als ich noch klein war. Sie war gottfroh, da weggekommen zu sein. Sie kümmerte sich auch nicht richtig um Großmutter. Das machte alles der Xaver.«
    »Und warum war das so? Hat dich das nicht interessiert?«
    »Alte Geschichten. Was weiß ich? Von früher eben. Ich habe meine Großmutter ja gar nicht richtig kennengelernt, denn meine Mutter wollte das nicht. Die haben kaum miteinander geredet. Ich weiß nur zwei Dinge über sie: Sie muss einmal sehr schön gewesen sein. Aber wohl auch ziemlich gefühllos. Hart. Streng eben. Die Menschen aus dieser Zeit waren sowieso anders als heute. Irgendwie sind die Alten hier doch alle komisch. Und der Alois, der war noch mal ein ganz anderes Kaliber. Vor dem hatte ich sogar richtig Angst. Jährzornig war der. Echt übel. Dem bin ich aus dem Weg gegangen, als er noch hier war. Der hat den Xaver ja noch geschlagen, als der längst erwachsen war. Ich hab ihn manchmal herumschreien hören. Der hat einfach jeden schikaniert. Ein furchtbarer Mensch. Es fällt mir schwer, das zu sagen. War ja mein Großvater. Aber es ist nun mal so.«
    »Was ist denn aus ihm geworden?«
    Lukas zuckte mit den Schultern. Aber er antwortete nicht.
    »Ist das eine indiskrete Frage?«
    »Wir wissen nicht, wo er ist. Vielleicht lebt er schon gar nicht mehr.«
    »Wie? Ihr wisst nicht einmal, ob er gestorben ist oder nicht?«
    »Nein.«
    »Und seit wann ist er nicht mehr in Faunried?«
    »Weiß der Himmel«, erwiderte Lukas verstimmt. Das Thema behagte ihm offensichtlich nicht. »Er ist ja nicht von heute auf morgen verschwunden. Mal war er da, dann wochenlang weg. Irgendwann ist er eben gar nicht mehr gekommen. Wann wird er das letzte Mal hier gewesen sein? Vor zehn, zwölf Jahren vielleicht.«
    »Aber seine Frau, die Anna, die muss doch gewusst haben, wo er war?«
    »Anna?« Er schnaubte. »Die war heilfroh, dass er weg war. Ich sage doch, dem Alois ist jeder aus dem Weg gegangen. Du musst ihn doch auch noch gekannt haben, oder?«
    »Nein. Ich habe ihn nie gesehen.«
    »Was? Das kann nicht sein.«
    »Warum? Du sagst doch selber, er sei immer weg gewesen.«
    »Ja, später. Aber als du und deine Eltern hier waren, hat er sich noch ständig auf dem Leybachhof aufgehalten. Dein Vater ist sogar mit ihm im Wald herumgezogen. Ich habe sie mehrmals zusammen gesehen. Du hast ihn bestimmt gekannt – und wahrscheinlich vergessen. Ist ja auch kein Wunder.«
    »Mein Vater?«, entfuhr es Anja. »Mit Alois Leybach im Wald?«
    »Ja. Das musste man ihm lassen, im Wald hat der Alois sich ausgekannt. Und dein Vater ja wohl auch, oder?«
    Anja antwortete nicht. Die Vorstellung erschien ihr abwegig. »Nach allem, was du erzählt hast, war Alois ein ziemlich unangenehmer Mensch, oder?«
    »Ja, sicher. Das hat auch einige hier gewundert. Aber es war so. Die beiden haben sich ganz gut verstanden. Mein Gott, wenn du ›Großvater‹, sagst, habe ich das Gefühl, du redest von einem Marsmenschen. Kein Mensch hier hat ihn so genannt. Alle sagten immer nur ›der Alois‹, wenn von ihm die Rede war. Sogar meine Mutter. Aber ich sage dir: Vor deinem Vater hatte der Respekt. Warum, weiß ich auch nicht. Die haben sich verstanden.«
    Anja schaute wieder aus dem Fenster. Allmählich wurde die Landschaft flach und eintönig. Industriebauten nahmen zu. Der Flughafen konnte nicht mehr weit sein sein. Anja sah eine Maschine im Steigflug und konnte ohne Mühe die Bemalung auf dem Rumpf erkennen.
    »Ich lasse dich am Terminal raus, okay? Von dort ist es nicht weit zur S-Bahn.«
    »Wo fliegst du überhaupt hin?«
    »Nach Brüssel.«
    »Ah, okay. Und, was machst du dort? Subventionen holen?«
    Er lachte. »Das übliche Klischee. Aber es stimmt sogar zum Teil. Anfang der Woche gibt es eine Anhörung zu den Strukturfonds und den Plänen für regionale Entwicklung. Zwei Tage.«
    »Und lohnt sich das? Kannst du nicht von hier aus erfahren, was es da für Möglichkeiten gibt?«
    »Schon. Aber hast du schon mal versucht, so einen Förderantrag auszufüllen? Na gute Nacht, Marie. Da schaue ich mir lieber an, wie die Profis das machen, bevor ich mich mit irgendeinem verschnarchten Sachbearbeiter im Landwirtschaftsministerium herumschlage, der die Verordnung noch gar nicht kennt, die er demnächst anwenden

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