Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
soll.«
Anja musste schmunzeln. Lukas’ Wangen hatten sich gerötet. Seine Pläne gefielen ihr nicht besonders. Aber wie er sie verfolgte, durchaus.
21
H einbichler ging auf die Terrasse und betrachtete seinen riesigen Garten. Sein Hund bellte erwartungsvoll im Zwinger, aber er kümmerte sich nicht darum. Vor einer halben Stunde war er aus Waldmünchen zurückgekommen, und die Überlegungen, die ihn während der ganzen Autofahrt beschäftigt hatten, gingen ihm noch immer durch den Kopf. Hätte er es verhindern können?, fragte er sich. Es war ja im Grunde gleichgültig, aber er hätte es trotzdem gern gewusst. Wenn er nur gleich zum Hof gegangen wäre, anstatt erst im Wald überall nach ihm zu suchen. Er umklammerte die Brüstung und ließ seinen Blick über das Anwesen schweifen. Könnte er all das hier verlieren? Konnte ihn diese Sache nach so vielen Jahren noch einholen?
Eines stand fest: Diese dreckerte Grimm wusste irgendetwas. Die Art und Weise, wie sie diese Wiese abgegangen war … Als ob sie in den Boden hineinschauen könnte. Das war ja das Verrückte. Da war nichts mehr, absolut gar nichts. Aber sie schien dort irgendetwas sehen zu können. Ganz wie ihr Vater damals. Er sah ihn noch vor sich. Diesen linken Spinner mit seinem Pferdeschwanz und seiner Baader-Meinhof-Sonnenbrille. Er hatte ihn ja oft genug beobachtet, wenn er im Wald herumging, Gräser sammelte und weiß der Himmel was für Untersuchungen vornahm. Einmal hatte er sich mit ihm unterhalten. Ob ihm aufgefallen sei, wie krank die Tannen seien, hatte dieser Grimm ihn gefragt. Ihm war gar nichts aufgefallen. Kranke Tannen? So einer war das also. Ein Politischer. Von wegen Sommerurlaub. Er hatte ihn reden lassen. Konnte ja damals niemand ahnen, dass aus diesen paar versprengten Naturideologen einmal eine kommunistische Volksbewegung werden würde. So einer war der jedenfalls gewesen. Und jetzt die Tochter.
Er dachte an das Mittagessen mit Grossreither. Ein Besuch beim Forstamtsleiter hatte ohnehin schon länger angestanden, und der Unglücksfall war ein ganz guter Vorwand gewesen, ihn ein wenig über diese Grimm auszuhorchen. Seit ein paar Wochen war sie also hier. Münchnerin. Studierte noch. Aber zu direkt konnte er Grossreither auch nicht fragen, ohne aufzufallen, und von sich aus hatte er nicht viel über sie gesagt. Eine Praktikantin eben. Weiß viel. Kann wenig. Ja, so hatte er sich ausgedrückt. Würde sich ganz gut machen, sei aber nur noch bis Anfang Oktober hier, was ihm ganz recht sei, da eine unverheiratete junge Frau in einem Amt immer eine gewisse Unruhe erzeuge, falls er verstehe, was er meine. Heinbichler verstand vor allem, dass Grossreither nichts über Anja Grimm wusste, was ihm helfen konnte, und so waren sie schon bald zu den Themen gelangt, die sie üblicherweise besprachen: Wildverbiss und die wie immer zu geringen Abschüsse.
Er ging von der Terrasse in sein mit Jagdtrophäen geschmücktes Wohnzimmer zurück. Aber nicht einmal der Anblick seiner eindrucksvollen Geweihsammlung vermochte es, seine Stimmung zu heben.
Als das Telefon klingelte, erhoffte er sich eine willkommene Ablenkung von seinen trüben Gedanken. Doch sobald er hörte, wer dran war, wurde seine Laune noch düsterer.
»Hallo, Albrecht«, sagte Heinbichler trocken. »Warum rufst du an? Wo bist du? In Faunried?«
»Nein«, kam die zittrige Stimme des Alten zurück. »Ich bin im Heim. In Weiden.«
Heinbichler atmete tief durch. »Na gut. Wie geht’s? Ist alles in Ordnung?«
»Nichts ist in Ordnung«, zischte Albrecht Gollas. »Und du weißt das so gut wie ich.«
»So?«
»Wie konnte das passieren, Rudolf?«
»Was, Albrecht? Wie konnte was passieren?«
»Diese Grimm. Was will die von uns?«
»Woher soll ich das wissen? Sie arbeitet hier. In ein paar Wochen ist sie wieder weg. Mach dir keine Sorgen.«
Am anderen Ende der Leitung blieb es einige Sekunden lang still. Nur das rasselnde Geräusch des Atems war zu hören. Dann sagte die Stimme nur: »Ich habe mit Gustav gesprochen. Er ist der gleichen Meinung wie ich. Du musst Alois Bescheid sagen. Alois muss sich um die Sache kümmern.«
Heinbichler antwortete nicht. Es war auch gar nicht mehr notwendig. Die Verbindung war unterbrochen.
22
I m Nachhinein musste sie ihm recht geben. Klassentreffen sollte man meiden. Zweimal hatte sie plötzlich jemandem gegenübergestanden, der sie mit ihrem Vornamen ansprach, und sie hatte Schwierigkeiten gehabt, die Person wiederzuerkennen. Natürlich hatten sich
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