Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Hauswänden.
Sie stellte ihre Sachen ab und verließ das Haus sogleich wieder, um essen zu gehen. Es war noch nicht spät, aber die Straßen waren bereits wie leergefegt. Sie wollte den Marktplatz meiden, aber nachdem sie eine Viertelstunde herumgeirrt war, kehrte sie resigniert an den einzigen Ort zurück, an dem es hier Restaurants gab. Das Chinarestaurant war wie immer geöffnet, und es gab jede Menge leere Plätze. Aber sie entschied sich für die Pizzeria daneben. Sie saß noch keine zwei Minuten, als plötzlich Lukas neben ihr stand.
»Sieh an. Auch spät angekommen?«
Verdutzt sah sie zu ihm auf.
»Darf ich?« Er setzte sich, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Wofür sind die Pralinen?«, fragte sie ein wenig reserviert.
»Nur so. Was soll man aus Brüssel schon mitbringen?«
»Warum überhaupt etwas mitbringen?«
Er ignorierte die Frage und winkte den Kellner heran. »Ich habe schon gegessen. Was nimmst du?«
Anja bestellte eine Pizza Vier Jahreszeiten und kämpfte gegen das Gefühl an, sich über Lukas’ plötzliches Auftauchen zu freuen. Es ging ihr so vieles durch den Kopf, dem sie lieber für sich in Ruhe nachgehen wollte. Andererseits hasste sie es, alleine zu essen. Lukas’ Versuche, mit ihr anzubändeln, waren zwar ein wenig direkt. Aber sie genoss seine Aufmerksamkeit.
»Hast du bei der alten Hexe überhaupt einen Kühlschrank?«, fragte er dann. »Diese Pralinen dürfen nicht warm werden.«
»Werden sie schon nicht. Ich liebe Pralinen, die werden nicht alt. Danke. Wie war’s in Brüssel? Wieso bist du schon zurück?«
»Die ganze Sache ist verschoben worden. Ganz kurzfristig. Ich bin schon am Sonntag wieder zurückgeflogen. Chardonnay?«
»Nein. Ich trinke lieber ein Bier.«
Er musterte sie. Sie wich seinem Blick verlegen aus.
»Wie war das Klassentreffen?«
Sie zog die Mundwinkel herunter, sammelte sich und erwiderte seinen direkten Blick dann ohne Scheu. »Hast du mir aufgelauert? Oder bist du öfter hier? Ich habe dich hier noch nie gesehen.«
»Aber ich dich«, entgegnete er. »Vor ein paar Wochen. Da wusste ich allerdings noch nicht, wer du bist. Und heute Abend … na ja, wo soll ein alleinstehender Mann hier schon hingehen?«
»Zum Beispiel nach Faunried. Zu seiner trauernden Familie.«
Er fuhr mit dem Finger über sein Weinglas und schüttelte leicht den Kopf. »Da fühle ich mich im Moment eher fehl am Platz.«
Er nickte einem Gast zu, der soeben das Lokal verließ und neugierig zu ihnen hingeschaut hatte. Anja sah nur, dass es ein älterer Mann war, niemand, den sie kannte oder wiedererkennen würde. Aber angesichts der Größe des Ortes musste man jetzt wohl davon ausgehen, dass morgen jeder wissen würde, mit wem sie hier gesessen hatte. Vielleicht käme ja Grossreither gleich auch noch hier vorbei. Oder Obermüller? Aber wo der seine Abende verbrachte, wusste sie ja.
»Was willst du von mir, Lukas?«, fragte sie ruhig.
Er tat erstaunt. »Nichts. Dir Gesellschaft leisten. Du bist ja ziemlich weit weg von zu Hause, und es muss recht langweilig für dich sein, oder?«
Sie strich sich die Haare aus der Stirn, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, irritiert über den Reflex. Warum machte sie an ihren Haaren herum?
»Ich bin um sechs aufgestanden und habe den ganzen Tag Daten eingegeben. Grossreither hat mich heute zusammengestaucht, weil ich angeblich unbefugt in eurem Wald kartiert habe. Jetzt soll ich an der ganzen Sache Mitschuld haben, weil ich nicht vorher angerufen habe.«
»Das ist doch Quatsch.«
»Ja. Aber er ist eben stinksauer. Wegen der Polizei und der Presse. Außerdem arbeite ich schlecht und bin heute auch noch zu spät gekommen.«
Lukas sah sie mitfühlend an. »Du solltest für mich arbeiten. Das wäre viel angenehmer. Für alle Beteiligten.«
Sie lächelte. »Nett von dir, danke. Aber ich baue keine Waldlehrpfade, Lukas. Das ist überhaupt nicht mein Ding.«
»So wie du das aussprichst, könnte man meinen, das sei etwas Unanständiges.«
Ist es ja auch, lag ihr auf der Zunge. Doch sie verbiss sich die Bemerkung. Außerdem kam die Pizza.
»Na los. Lass es dir schmecken«, sagte er, als sie keinerlei Anstalten machte, das Besteck in die Hand zu nehmen.
»Lukas!«
Er fuhr herum. Anja sah überrascht auf. Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass Rupert den Raum betreten hatte und nur zwei Meter entfernt von ihnen stand. Lukas’ Gesicht verzerrte sich, als habe er sich auf die Zunge gebissen.
Er zischte seinen Bruder an: »Was willst du denn
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