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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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schöne Frauen vergisst man nicht«, sagte er und lächelte unsicher.
    Das Bier kam. Anja wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und trank. Das Geräusch von verrückenden Stühlen erfüllte den Raum, und die vier Männer gingen zur Tür. Einer von ihnen rief Rupert etwas zu, das sie nicht verstand. Rupert hob die rechte Hand, sagte irgendetwas in Richtung Wand, veränderte aber ansonsten seine Position nicht. Die Tür schloss sich geräuschvoll.
    »Mach mir noch ein Kleines«, rief er dem Wirt zu. Anja suchte nach einem Weg, das Gespräch fortzusetzen. Aber plötzlich war es ihr unmöglich. Sie wollte Rupert fragen, worüber er mit Lukas gestritten hatte. Dann überlegte sie, ob sie sich nicht doch rechtfertigen sollte. Sie hatte so viele Fragen. Auch was seine Familie betraf. Aber kein Satz, den sie sich zurechtlegte, kam ihr über die Lippen. Rupert trank schweigend sein Bier. Anja hatte das Gefühl, dass dieser Moment sich minutenlang dehnte, dieses ohrenbetäubende Schweigen, das einer Sturzflut von Fragen geschuldet war, die sich im Raum auftürmte. Endlich sagte sie geradeheraus: »Warum hat der Xaver das getan, Rupert? Warum?«
    Er drehte sein Glas auf dem Bierfilz nach links, dann nach rechts. Dann hob er es hoch, trank einen Schluck und stellte es wieder hin.
    »Hast du das den Lukas auch gefragt?«
    »Ja, sicher.«
    »Und? Was hat er geantwortet?«
    »Dass er es nicht weiß.«
    Ohne die geringste Vorwarnung spürte sie plötzlich seine Hand auf ihrem Unterarm. Er griff nach ihr. Aber zugleich hatte sie das Gefühl, als wolle er sich an ihr festhalten. Sie versuchte zurückzuweichen, machte Anstalten, ihren Arm aus seinem Griff zu befreien, aber sein Gesichtsausdruck ließ sie innehalten. Er war betrunken. Kein Zweifel. Sturzbetrunken sogar. Aber das war keine Erklärung für diesen milden, ja geradezu zärtlichen Blick.
    »Siehst du, Anja«, sagte er, und sie hatte Mühe, über die Bierfahne hinweg, die ihr entgegenschlug, weiterzuatmen. »Deshalb halte ich lieber mein dummes Maul. Damit ich nicht so einen unerträglichen Scheiß reden muss wie mein Arschloch von Bruder, verstehst du?«
    Sie sah ihn verdattert an. »Was willst du damit sagen?«
    Er zog die Hand zurück, griff wieder nach seinem Bier und trank es in einem Zug leer. Dann stellte er den Krug ab, stieß leise, aber hörbar auf und blickte stumpf vor sich hin.
    »Warum ist er durchgedreht, Rupert?«, insistierte sie. »Warum?«
    »Durchgedreht?«
    Rupert wiederholte das Wort langsam und bedächtig. Er drehte sich wieder zu ihr um. Anja rührte sich nicht. Sein Gesicht schwebte vor ihr wie eine unwirkliche Erscheinung. Seine Augen durchbohrten sie jetzt regelrecht. Und mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass es Kinderaugen waren, die sie anstarrten. Fragende Augen, voller Unsicherheit und Furcht. Dann kamen diese Augen näher. Sie roch seine Bierfahne. Hände umfassten ihren Kopf, und im nächsten Moment spürte sie seine Lippen auf ihrer Stirn. Noch bevor sie reagieren konnte, hatte er sie bereits wieder losgelassen und war abrupt zurückgewichen. Der Mann war wahnsinnig, durchfuhr es sie. Die feuchte Stelle auf ihrer Stirn brannte wie Feuer. Wie von selbst fuhr ihre Hand zu ihrem Glas. Doch kaum hatte sie es umfasst, um es Rupert ins Gesicht zu schütten, ließ sie ein Satzstummel aus seinem besoffenen Mund innehalten.
    »Gnad dir doch Gott, du Armes«, hörte sie ihn lallen, während er von seinem Hocker rutschte und noch einen Moment gebückt stehen blieb, als wolle er erst sichergehen, dass der Boden sich nicht unter ihm geöffnet hatte. »Gnad dir doch Gott.«
    Anja hielt noch immer das Bierglas wurfbereit in der Rechten und wischte sich mit dem Ellbogen des linken Armes über die Stirn.
    »Seid ihr hier denn alle verrückt?«, keuchte sie.
    »Ja sicher«, lallte er zurück. »Was denn sonst, zum Teufel auch.«
    Damit stürzte er zur Tür und verschwand in der Dunkelheit.

28
    S eit Stunden saß sie da und übertrug Bodendaten in den Computer. Das rasende Kopfweh, mit dem sie aufgewacht war, ließ sich auch von der mittlerweile dritten Aspirintablette nicht beeindrucken und zog munter an jedem Nerv in ihrem Schädel. Als hätten die Vorwürfe vom Vortag nicht gereicht, hatte Grossreither heute Morgen wortlos kontrolliert, wie weit sie gekommen war, und dann mit einem »Na wusst ich’s doch, Schreibtischarbeit liegt Ihnen einfach mehr« den Raum wieder verlassen.
    Sie hatte die Kröte geschluckt. Was sollte sie auch sonst tun? Die

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