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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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hervorblicken oder ein argloses Rotkäppchen den Feldweg entlangspazieren.
    Sie nutzte die Gelegenheit, dass ihr Handy ein Netz anzeigte, um im Büro zu melden, dass sie erst gegen halb elf da sein würde.
    »Na wunderbar«, brummte Grossreither und hängte gleich wieder ein. Als sie knapp zwei Stunden später eintraf, lief sie ihm auch noch direkt in die Arme.
    »Da sind Sie ja endlich. Die Arbeitszeit beginnt übrigens um halb acht.«
    »Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen.«
    »So ist es. Sie arbeiten nämlich jetzt hier. Obermüller ist schon mit einem anderen Kollegen draußen. Hier. Das sind die Profildaten der anderen Teams. Es wäre schön, wenn Sie die gleich einpflegen könnten.«
    Sie hatte noch nicht einmal ihre Jacke ausgezogen, aber er drückte ihr die Kladden mit den Bögen trotzdem in die Hand.
    »Und gehen Sie bloß nicht noch mal ohne vorherige Genehmigung in einem Privatwald kartieren oder machen sonst einen Unfug.«
    »Was? Aber …«
    »Kein Aber. Niemand gibt Ihnen die Schuld an dem Unglück. Aber wissen Sie überhaupt, was hier los ist? Polizei. Presse.«
    »Aber …« Anja bekam kaum Luft vor Empörung. »Machen Sie etwa mich für das alles verantwortlich?«
    »Frau Grimm, Sie werden Privatwaldbesitzer künftig am Vortag anrufen, bevor Sie kartieren. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? Oder kann ich Sie gar nicht mehr ins Gelände lassen? Besonders schnell geht das bei Ihnen ja auch nicht gerade. Und vielleicht könnten Sie endlich mal was schießen. Wir haben hier einen Wildverbiss, dass man kotzen möchte. Aber bitte hier, wenn’s recht ist. In Faunried lassen Sie sich ab sofort nicht mehr blicken. Guten Morgen.«
    Sie stand einen Moment lang wie erstarrt da. Das war wohl so etwas wie ein Zwischenzeugnis. Dann stürmte sie in ihr Büro, knallte die Kladde auf ihren Schreibtisch, riss sich den Anorak vom Leib, hängte ihn wutentbrannt an die Garderobe und schaltete den Computer ein. Sie tobte innerlich. Büroarbeit! Sie wollte draußen im Wald sein und nicht in diesem deprimierenden Amtszimmer versauern.
    Sie schlug die Kladde auf, warf einen Blick auf die Profilbögen, blätterte sie durch und fühlte sich noch schlechter als zuvor. Die anderen Teams arbeiteten viel schneller als sie und Obermüller. Über neunzig Ansprachen schafften die durchschnittlich an einem Tag, ein Drittel mehr als sie. Na und, versuchte sie sich stumm zu rechtfertigen. Das waren professionelle Kartierer. Sie würde schon noch schneller werden. Und diese haltlosen Vorwürfe! Sie tippte wütend ihr Passwort ein, startete das Programm und begann mit der Arbeit. Schluffiger Lehm. Pseudogley. Grusiger Feinsand. Die Wörter verschwammen vor ihren Augen. Sie würde Tage hier drinsitzen. Achtung! Pilzbefall an Jungfichten (Nebellage). Sie schrieb mechanisch, gab Zahlen und Werte ein. Irgendwann war sie so vertieft, dass sie nichts mehr um sich herum wahrnahm.
    Nach Büroschluss schlich sie bedrückt aus dem Forstamt und ging nach Hause. Vielleicht hatte sie Glück, und es würde ihr wenigstens eine Begegnung mit Frau Anhuber erspart bleiben. Aber kaum hatte sie die Tür aufgeschlossen, erklang das typische Klirren des Fliegenvorhangs, mit dem sich ihr Kommen stets ankündigte, die Glastür zu ihrem Wohnzimmer öffnete sich, und sie erschien, zwei unterschiedlich große Plastiktüten in der Hand haltend.
    »Ein junger Mann hat das für Sie abgegeben«, sagte sie. »Und das hier gehört wohl auch Ihnen, oder?«
    Der vorwurfsvolle Ton war von einem entsprechenden Blick begleitet. Anja nahm die beiden Plastiktüten entgegen. Eine war klein, hübsch, gelb, sauber und mit einer grünen Geschenkschleife versehen. Die andere stammte von Aldi und war verdreckt, nass und eingerissen.
    Anja warf einen Blick hinein und erkannte das Hemd wieder, das sie am letzten Montag getragen hatte. Sie erinnerte sich jetzt auch daran, dass sie die nach Zigarettenqualm stinkenden Kleider vor das Fenster gelegt und den Griff der Tüte unter der Zarge eingeklemmt hatte. Sie hatte die Tüte komplett vergessen. Wahrscheinlich war sie direkt in Frau Anhubers Garten geplumpst, als sie das Fenster zum Lüften geöffnet hatte,.
    »Tut mir leid. Danke.« Sie eilte die Treppe hoch zu ihrem Zimmer. Die kleine Tüte enthielt Pralinen. Neuhaus. Bruxelles. Lukas! War er schon zurück? Die elegante Schachtel erschien wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung aus Blümchentapeten, Eichenholzmöbeln, Fertigbaugaragen und verklinkerten

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