Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
Menschen besser und wertvoller machen. In den allermeisten Fällen offenbarte sich nach einiger Zeit aber leider genau das Gegenteil. Wie der Herr Jesus Christus schon sagte, ist es für ein Kamel leichter, durch ein Nadelöhr zu kommen, als für einen Reichen in das Königreich Gottes. Sowohl bittere Armut als auch übergroßer Reichtum waren allzu oft die Quellen für das Leid der Menschen.
»Ich möchte Euch, verehrte Herren, nicht über Gebühr belästigen. Nur noch eine kleine Frage.« Nikolaus schaute auf Junk und von Buschfeld. »Ihr wart heute Vormittag bei St. Gangolf. Hattet Ihr einen besonderen Grund?«
Philipp von Buschfeld richtete sich erstaunt auf. »Natürlich. Wir waren zur Andacht. Was denn sonst? Schließlich ist es die Stadtkirche. Was wollt Ihr damit sagen?«
Nikolaus verneigte sich demütig. »Selbstverständlich nichts Ehrenrühriges. Vielleicht habt Ihr aber etwas oder jemanden beobachtet, der uns mehr sagen könnte.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr noch eine andere Ursache für den Tod des Meisters Albrecht in Erwägung zieht?«
»Ich habe leider noch keine eindeutige Bestätigung, ob es sich um einen Unfall, Selbstmord oder Mord gehandelt hat.«
Theodor Junk beeilte sich mit einer Antwort: »Wir hatten keinen Grund, nach einem möglichen Mörder Ausschau zu halten. Außerdem handelt es sich unserer Meinung nach eindeutig um einen Unfall. Und wenn Ihr unvoreingenommen genug wärt, würde Euch dies als einzige realistische Erklärung einleuchten. Aber wir verstehen, dass Euer Blick durch den Auftrag des Dompropstes nicht neutral sein kann.«
Nikolaus musste sich zurückhalten, um nicht eine patzige Antwort zu geben. Er atmete einmal tief durch. »Ihr werdet wohl recht haben«, gab er nach. »Hatte der verstorbene Meister eigentlich noch Verwandte?«
»Es gibt da noch einen Bruder. Ich glaube, er heißt Franz. Ein stadtbekannter Säufer und Herumtreiber. Und eine Schwester, Gesine. Sie arbeitet irgendwo in der Stadt als Hausmagd und soll eine Kammer in der Staffelgasse 19 direkt am Stapelplatz haben.«
»Danke für diesen Hinweis. Wo finde ich bitte das Haus des Meisters Albrecht? Ich würde gern mit Eurer Tochter sprechen, um ihre Sorgen zu zerstreuen.«
Junk wurde sichtlich ungeduldig. Er wollte den unerwünschten Gast endlich loswerden. »Das Haus steht in der Webergasse 20 . Helena wird aber jetzt im Katharinenkloster sein. Sie pflegt dort meine schwer erkrankte Schwester.«
Nikolaus wusste, dass seine Duldung nun ein Ende gefunden hatte. Er bedankte sich mit einer Verbeugung bei den Schöffen und ging, nachdem man ihn kurz und frostig verabschiedet hatte.
Der Priester zu St. Gangolf
Langsam schlenderte er in Richtung Markt. Er glaubte kein Wort davon, dass die Heirat zwischen Albrecht und Helena ein Zeichen der Verbundenheit zwischen den Schöffen und den Zünften war, auch wenn die Vertreter der kleinen Zünfte und die Schöffen dies einmütig betonten. Es gab noch eine andere Erklärung, einen tieferen Grund. Warum sollte gerade der Schöffenmeister seine Tochter hergeben? Das war zu viel Selbstlosigkeit für den reichsten und einflussreichsten Bürger Triers.
Nikolaus blieb plötzlich stehen. Etwas störte ihn. Er konnte nicht genau sagen, was es war. Ihm war, als würde er beobachtet. Unauffällig schaute er sich die ausgebreiteten Waren eines Bäckers an und riskierte einen Blick zurück. Er konnte niemanden erkennen, der ihn beobachtete. Verschiedene Leute gingen an ihm vorbei oder standen vor anderen Auslagen. Alles sah ganz normal und unbeteiligt aus. Hatte er sich geirrt? Fing er jetzt schon zu spinnen an?
Gemächlich ging er weiter. Nach einigen Schritten drehte er sich abrupt um. In diesem Augenblick wandte sich auch jemand hinter ihm um – keine zehn Schritte entfernt. Der Mann hatte einen weiten Umhang um und die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, sodass man ihn nicht erkennen konnte. Nikolaus glaubte, die Gestalt auf der anderen Straßenseite gesehen zu haben, als er Junks Haus verlassen hatte. Aber sicher war er sich nicht. Der Unbekannte kaufte sich ein Gebäck und spazierte dann gemütlichen Schrittes in die entgegengesetzte Richtung davon. Nikolaus wartete einen Moment, aber der Mann ging ungerührt weiter, ohne sich ein einziges Mal umzuschauen.
»Sehe ich jetzt Gespenster?«, knurrte der junge Mann leise vor sich hin.
Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg in Richtung Markt. Aber einem plötzlichen Entschluss folgend drückte er sich hinter eine
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