Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
Unmöglich. Völlig ausgeschlossen.«
»Und wenn er sich verkleidet hat?«
Der Priester lachte auf und erhob seinen Zeigefinger. »Das geht gar nicht. Als der Betrunkene hier saß, haben sich der Händler und Meister Albrecht genau vor dem Portal gestritten.«
»Ach?« Der junge Mann konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
»Ja. Es ging um irgendwelche Fehler, die an Finkens Scheune aufgetreten sind. Erst als ich dazwischenging, beruhigten sie sich. Genau dort, wo die Gläubigen hinein- und hinauswollen, fängt man doch keinen Zank an! Das gehört sich einfach nicht! Wie sieht das denn aus? Oder?«
»Da habt Ihr recht. Und was passierte, nachdem Ihr die Streithähne getrennt hattet?«
»Meister Albrecht stieg auf den Turm.«
»Und Finken?«
Trips zuckte mit den Schultern. »Als ich wieder hier hereinging, blieb er draußen stehen und fluchte auf unanständigste Art und Weise. Ein wirkliches Schandmaul! Und das vor allen Leuten. Der hat keinerlei Schamgefühl.«
»Könnte er später wohl wieder hier hereingekommen sein? Irgendwann, bevor die Schöffen kamen?«
Der Priester nickte wissend. »Ah! Ihr denkt wohl, der Händler könnte auf den Turm gestiegen sein und Albrecht heruntergestoßen haben?«
»Wenn die beiden sich nicht grün waren ...«
»Aber dann hätte man ihn doch entdecken müssen, als die aufgebrachte Meute dachte, die Arbeiter hätten den Meister umgebracht.«
»Den dritten Arbeiter hat man doch auch nicht entdeckt.«
Trips musste dem wohl oder übel zustimmen.
Nikolaus war mit seinen Fragen nun endgültig zum Ende gekommen. Seine Vermutungen zu den möglichen Kontroversen hatten sich allesamt bestätigt: Albrecht und Junk verband ein dunkles Geheimnis, sodass der eine den anderen in der Hand hatte. Albrecht und Grimbach lagen sich aus beruflichen Gründen und bestimmt auch wegen Helena in den Haaren. Albrecht und Finken hatten Streit wegen eines verpfuschten Baus. Aus jeder dieser Situationen ließe sich ein Mord spinnen, aber leider kein Selbstmord.
Der junge Mann bedankte sich für die Hilfe und verließ St. Gangolf. Er musste auf jeden Fall noch weiter nachforschen. Vielleicht sollte er mit Helena sprechen. Vermutlich war sie im Katharinenkloster und pflegte ihre Tante.
Nachdenklich stand er vor dem Portal und blickte sich um. Vor einem der schmalen Häuser auf der gegenüberliegenden Seite der kleinen Gasse standen drei Lederhändler und sprachen leise miteinander. Immer wieder schauten sie sich vorsichtig um, als wenn sie etwas Wichtiges erwarten würden. Aber ihre Neugier bezog sich nicht auf Nikolaus – ihn würdigten sie keines Blickes. Einer der Männer hatte ein geschwollenes, blaues Auge, und ein zweiter trug seinen linken Arm in einer Schlinge. Die beiden waren wohl in eine kleine Kneipenschlägerei geraten.
Nikolaus schlenderte hinüber und grüßte die Herren. Sie dachten sicherlich, er wäre ein Kunde, und erwiderten seinen freundlichen Gruß. Als er jedoch erklärte, dass er den Tod des Zunftmeisters Herrmann Albrecht im Auftrag des Dompropstes untersuchte, erstarb ihr Lächeln. Man sah ihnen ihren sehnlichsten Wunsch an, sich so schnell wie möglich zu verdrücken.
Der junge Mann beeilte sich deshalb: »Habt Ihr etwas vom Sturz des Meisters gesehen?«
»Erst als die Leute schrien«, antwortete der mit dem geschundenen Arm »und dann standen schon alle um die Leiche rum.«
»Hat jemand von Euch vorher etwas vom Turm her gehört?«
»Die beiden Meister schnauzten sich andauernd an. Nach gewisser Zeit ist das normal, und man hört nicht mehr so genau hin.«
Der unverletzte Mann ergänzte: »Kann ich aber auch verstehen. Der Ältere kam immer erst am Vormittag und war spätestens nach dem Mittag in einer Kneipe verschwunden. Der Jüngere musste dann allein weitermachen. Irgendwann hätte sich der Ältere in den Tod gesoffen. Nach dem, was man hört, hat er so manche Flasche Branntwein in sich hineingekippt.«
Der Höker mit dem verbeulten Gesicht beteiligte sich nun auch am Gespräch. »Als die vor ungefähr zwei Monaten hier am Dach begannen, war das mit dem Saufen noch nicht so schlimm. Aber in den letzten paar Wochen war der alte Meister immer kürzer hier und dafür mehr in der Kneipe. Ein Wunder, dass der nicht schon am Morgen hier besoffen auftauchte.«
»Vielleicht hatte er heute Morgen noch einen dicken Kopf, weil er gestern ganz schlimm gebechert hatte«, warf der Erste ein, »sodass er nicht wusste, wohin er trat oder wie er sich festhalten sollte.«
Die
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