Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
unverkennbar ins Gesicht geschrieben, dass auch er so schnell wie möglich verschwinden wollte. »Was denn?«
»Warum wurde eben von den kleinen Zünften gesprochen? Also gibt es auch große?«
»Eine besondere Gruppe in der Stadt, die sogenannte Bürgerbruderschaft, umfasst die besser situierten Bürger – also Münzer oder Wechsler, Krämer und so weiter. Aber die einflussreichste Gemeinschaft sind die Schöffen. Diese Schöffenbruderschaft vom St. Jakobsspital vereinigte sich vor einigen Jahren mit der Bürgerbruderschaft und nennt sich seitdem St. Jakobsspitalsbruderschaft. Ihnen gegenüber bedeuten die Vertreter der dreizehn Zünfte wenig. Aus denen konnte nur eine Gruppe hervortreten, die Zünfte der Weber, Metzger, Bäcker und Gerber. Sie werden als die vier großen Zünfte oder Ämter bezeichnet, die übrigen als die kleinen. In den Händen der aristokratischen Gruppen der Schöffen, der Bürger und der vier großen Ämter liegt die Leitung der Stadt, und hier wieder in erster Linie bei den Schöffen. Wir Zimmerleute gelten also als wenig. Wir können uns deshalb auch nicht im Rathaus versammeln, sondern treffen uns im Haus unseres Zunftmeisters. Leider müssen wir nun wieder einen neuen bestimmen.«
Nikolaus nickte verständnisvoll. Geld regiert die Welt. Und wer an der Macht ist, versucht zu verhindern, dass ihm andere diese Stellung streitig machen. Warum ließ sich Theodor Junk dann auf eine Verbindung mit einem Zimmermannsmeister ein? Wäre es nicht in seinem Sinne gewesen, Helena mit einem anderen Schöffen oder mit jemandem aus der Bürgerbruderschaft zu verheiraten? Welchen Vorteil hatte Junk dadurch? Denn den musste es geben. Das Gerede vom Zeichen der Verbundenheit war nur eine Floskel. Welchen Nutzen hatte Meister Albrecht, der kurz vorher auch noch zum Zunftmeister gemacht worden war, gehabt. Sollten die kleinen Zünfte unterwandert werden, damit sie nach der Pfeife der Schöffen tanzten und nicht nach mehr Einfluss strebten? Und wenn der Zunftmeister nun Skrupel bekommen hatte und nicht mehr wusste, wie er ungeschoren aus dieser Sache herauskommen konnte? Zwar radikal, aber gut möglich.
»Wer waren heute Vormittag bei St. Gangolf eigentlich die beiden Männer neben dem Schöffen Theodor Junk?«
Adam Grimbach überlegte kurz: »Das eine war Philipp von Buschfeld – auch ein Schöffe –, und der andere war der Metzgermeister Hans Schauf. Die beiden und Junk sind Busenfreunde. An denen kommt hier in Trier niemand vorbei. Die hocken bestimmt dort im Kaufhaus und hecken aus, wie sie die Leute wieder übers Ohr hauen können und sie immer reicher und mächtiger werden.«
Nikolaus bedankte sich für die Auskünfte. Er hatte den Zimmermannsmeister schon genug aufgehalten. Der schlich wie von einer schweren Last gebeugt von dannen und verschwand in Richtung Basilika.
Die Schöffen
Nikolaus ging zur großen Eingangstür des Rathauses und fragte eine Wache, die dort lustlos an der Wand gelehnt stand, nach Theodor Junk. Die brummte nur mürrisch und musterte den unerwünschten Besucher lange von oben bis unten. Erst als der junge Gelehrte die Fragen, wer er sei und was er von dem Schöffenmeister wollte, anscheinend zur Zufriedenheit der Wache beantwortet hatte, erhielt er Auskunft. Allerdings erfuhr er, dass Junk gar nicht mehr hier war, sondern bereits nach Hause gegangen war.
»Und wo wohnt der ehrwürdige Herr Junk?«, fragte Nikolaus nach dem sich hinziehenden Frage-Antwort-Spiel. Langsam war seine Geduld zu Ende. Aber so musste es den anderen gehen, wenn er selbst nachforschte.
»In der Brotstraße gegenüber dem Haus zum Adler, das den Grafen von Luxemburg gehört. Das Bild könnt Ihr gar nicht übersehen.«
Nikolaus bedankte sich und ging über den Kornmarkt, um in die parallel zur Fleischstraße verlaufende Brotstraße zu gelangen. Er wandte sich nach links, in der Hoffnung, hier das Haus des Schöffen zu finden, denn nach rechts wurde die Bebauung immer weniger. Dort beherrschten Höfe das Stadtbild. Aber in Richtung Markt war die Brotstraße von einer ganzen Reihe repräsentativer Gebäude geprägt. Das Domkapitel, die Klöster und natürlich auch einige reiche Familien hatten hier Besitz.
Schon nach wenigen Schritten entdeckte Nikolaus ein Haus mit einem großen Adler auf der weiß getünchten Wand. Das gegenüberliegende Domizil war noch recht neu. Das Erdgeschoss war aus Stein gebaut, die oberen Stockwerke waren mit vielfarbigem Fachwerk versehen. Sein ganzes Erscheinungsbild
Weitere Kostenlose Bücher