Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
drei Höker nickten sich zustimmend zu.
Einer bemerkte: »Kein Wunder, dass dem keiner mehr Aufträge geben wollte. Entweder war er nie da oder baute in seinem Suff nur Mist.«
»Waren die Auseinandersetzungen zwischen dem jungen und dem alten Meister eher arg oder eher harmlos?«
Der mit dem blauen Auge antwortete: »Dass sie sich gekloppt hätten, habe ich nie gesehen – hätte mich aber kaum gewundert. Die Arbeiter da oben kennen wir mittlerweile schon ganz gut. Auch die haben so was bisher noch nicht mitbekommen.«
»Der Junge drohte schon ein paarmal: ›Ich bring dich um‹ «, bemerkte nun ein anderer. »Aber wer sagt das denn nicht mal, wenn ihm so ein Aas auf die Nerven geht? Das habe ich doch selbst erlebt, wenn der zum Einkaufen kam. Erst hat er stundenlang gehandelt. Und wenn ich dann mit dem Preis ein bisschen runtergegangen bin, hat er gekniffen. Meistens behauptete er dann, dass er woanders bestimmt noch was Besseres bekommen würde. Zuletzt habe ich mich gar nicht mehr auf sein Gesülze eingelassen und ihn gleich weitergeschickt.«
Nikolaus hatte sehr interessiert zugehört. Herrmann Albrecht hatte anscheinend ein Händchen dafür gehabt, es sich mit seinen Mitmenschen zu verscherzen. »Habt Ihr heute Morgen zufälligerweise noch andere auf dem Turm gesehen?«
»Ihr meint, außer den beiden Meistern, den Arbeitern und dem Unbekannten mit der Gugel?«
»Genau.«
Alle drei verneinten nach kurzem Nachdenken.
»Habt Ihr die Honoratioren, die beiden Schöffen und die beiden Zunftmeister, gesehen? Wisst Ihr, ob die mit dem Meister Albrecht vorher noch gesprochen hatten?«
Plötzlich wurden die Händler nervös. Sie stießen sich gegenseitig an, und der mit dem blauen Auge beeilte sich zu sagen: »Wir haben leider keine Zeit, uns mit solch einem Kram zu beschäftigen. Wir haben zu tun.«
Ehe Nikolaus noch etwas sagen konnte, waren die drei in ihren Häusern verschwunden, und er stand mit offenem Mund allein in der Gasse. Aber plötzlich bekam er einen Stoß und wurde rüde zur Seite gedrängt. Zwei sehr junge, kräftige Burschen mit verschlossenen Mienen und grimmigen Augen schauten ihn drohend an, sagten aber nichts. Jeder Vorwurf wäre sicherlich mit schlagkräftigen Argumenten beantwortet worden. Sich ganz allein mit diesen anzulegen, wäre das Dümmste, das man machen konnte.
Nikolaus drehte sich flugs um und marschierte mit ein wenig weichen Knien in Richtung des Durchgangs zum Markt. Aber kaum war er um die Ecke, machte er kehrt und lugte vorsichtig in die Gasse. Weswegen war er so unfreundlich verscheucht worden? Die beiden Rüpel schauten sich noch einmal kurz um und verschwanden dann im Laden des Mannes, der keine Verletzung hatte. Was wollten die denn von ihm? Sehr merkwürdig.
Plötzlich erklang neben Nikolaus eine Stimme. Vor Schreck blieb ihm fast das Herz stehen. »Steckt Eure Nase da lieber nicht hinein. Blaue Flecken sind das geringste Übel, das Ihr Euch damit einhandelt.«
Ein Mann mittleren Alters in ärmlicher und vor Schmutz starrender Kleidung stand neben ihm und grinste ihn breit an. Ein paar Zähne fehlten schon, und zwei ragten faulig schwarz hervor. Eine breite Narbe zog sich quer über sein Gesicht. Dies war entweder einer der vielen Tagelöhner, für die nur noch die unangenehmsten oder schwersten Arbeiten übrig waren, oder er hatte schon die unterste Schicht der menschlichen Gesellschaft erreicht und musste sich das Wenige, das für ihn übrig blieb, zusammenbetteln.
Nikolaus fragte erstaunt: »Warum sollte ich das nicht?«
»Es ist besser so.«
»Dann sagt doch, was hier los ist?«
Die ärmliche Gestalt drehte sich einfach um und verschwand in Richtung Markt. Ehe der junge Mann seine Verblüffung überwunden hatte und dem Unbekannten hinterhereilte, war der schon im Gewimmel des Platzes verschwunden.
»Wer war das denn?«, grummelte Nikolaus ärgerlich vor sich hin.
Trieb sich diese abgerissene Gestalt hier öfter herum? Wahrscheinlich. Denn irgendwie wusste der Kerl, was hier vor sich ging. War er am Morgen auch hier gewesen? Hatte er etwas sehen können, was den Sturz von Meister Albrecht erklären konnte? Oder hatte er an einem der vorherigen Tage eine wichtige Beobachtung gemacht? Solche bettelarmen Menschen wurden von Personen, denen es besser ging, geflissentlich übersehen. So mancher mochte sich einfach nicht mit dem Leid der anderen befassen. Diese Fußabtreter der Gesellschaft hatten dafür aber eine umso schärfere Beobachtungsgabe. Da sie selten
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