Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
haben. Und gleich darauf stürzte Albrecht den Turm hinunter.«
»Was?« Nikolaus traute seinen Ohren nicht.
»Da staunt Ihr, was? Was Ihr nicht schafft, habe ich ganz einfach mit links erledigt.«
»Aber ... aber ...« Nikolaus massierte sich hektisch die Schläfen. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. »Von wo aus will er das denn gesehen haben? War er auch auf dem Turm?«
»Er hat das von unten gesehen, als er unten auf der Straße stand.«
Der junge Mann schüttelte heftig den Kopf. »Das geht doch gar nicht! Von ganz unten kann man nicht sehen, was dort oben innerhalb des Turms passiert. Der Winkel passt einfach nicht. Der Kerl muss ja um die Ecke gucken können.«
Meuren winkte ab. »Schluss jetzt! Es ist nicht Euer Ding, darüber zu urteilen. Er hat es beim Leben seiner Mutter geschworen. Das reicht.«
»Das hat er doch nur gesagt, um seinen Hals zu retten.«
Der Dompropst wurde immer ungehaltener und drohte mit erhobenem Zeigefinger. »Mein lieber, junger Freund, haltet Euch lieber an das, was man Euch sagt! Alles andere geht Euch einen Dreck an! Habt Ihr das verstanden?«
Nikolaus presste seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und sagte lieber nichts mehr. Gegen den Dompropst kam er im Moment nicht an. Solange der Kurfürst nicht in der Stadt war, konnte von Meuren so gut wie alles tun und lassen, was er wollte. Er konnte Leute wegen fadenscheiniger Argumente einkerkern lassen und allen, die anderer Meinung waren, das Wort verbieten. Er konnte aufgrund persönlicher Hirngespinste irgendwelche Nachforschungen anordnen und taub sein für logische Schlüsse. Aber spätestens vor Gericht würde sich das Blatt wenden. Dann könnte er sich nicht mehr wie ein kleiner König aufspielen. Auch er hatte sich an geschriebenes Recht zu halten.
Der junge Mann deutete eine Verbeugung an und murmelte ein zerknirschtes Ja.
»Gut. Dann findet heraus, was der alte Junk in St. Gangolf wollte.« Und schon hatte sich der Dompropst umgewandt und begab sich wieder zu den anderen Domherren.
Mit einem Bauch voller Wut eilte Nikolaus davon. Wie konnte man nur so verbohrt sein und ein so leichtfertiges Urteil fällen? Die Anschuldigung des Gefangenen gegen Adam Grimbach war eine faustdicke Lüge. Wer weiß, was Meuren dem Kerl versprochen hatte, wenn der etwas Wichtiges aussagen würde.
»Du verdammter, dämlicher ...« Nikolaus musste sich schwer zusammenreißen, um seinem Zorn über den Dompropst nicht lautstark Luft zu machen.
Er wollte natürlich auch wissen, was zwischen Theodor Junk und Herrmann Albrecht abgelaufen war, und möglicherweise war genau dies der Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses. Aber er musste vor allem herausfinden, was den Meister bewogen hatte, hinunterzuspringen. Denn ein Selbstmord war für Nikolaus noch immer plausibler als ein Mord oder ein Unfall. Wenn er jedoch in Betracht zog, was er in den letzten beiden Tagen erlebt hatte – erst den tödlichen Anschlag auf Sebastian Vierland und dann den glücklicherweise vereitelten Überfall auf ihn –, konnte er ein gewaltsames Ende des Meisters nicht mehr ganz ausschließen.
Was konnte Nikolaus jetzt überhaupt noch tun? Er musste mit dem Gefangenen reden. Aber nicht jetzt. Meuren sollte es nicht mitbekommen. Ansonsten hatte er schon mit allen möglichen Leuten gesprochen außer ... außer mit Herrmann Albrecht selbst. Natürlich konnte er nicht so einfach den Leichnam befragen. Aber es gab da immer noch die verschwundene Mappe, in der der Meister seine Unterlagen gewöhnlich mitzuschleppen pflegte. Vielleicht konnten ja die Aufzeichnungen reden. Grimbach hatte die Mappe unmittelbar nach dem Sturz noch gesehen. Dann war sie plötzlich fort gewesen. Hatte der Priester sie genommen und Helena oder Gesine Albrecht gegeben? Das war gut möglich.
Nikolaus eilte in die Brotstraße zum Haus von Theodor Junk. Schon kurz nach dem Klopfen öffnete wieder der schnippische Diener von vorgestern. Ohne eine Begrüßung kam sofort die schnoddrige Ansage: »Der gnädige Herr ist nicht da. Kommt später wieder!«
Doch ehe die Tür wieder zugeknallt werden konnte, stemmte sich Nikolaus dagegen. »Moment mal! Ich habe doch gar nicht gesagt, zu wem ich wollte.«
»Da die jungen Herren auf Reisen sind, gibt es hier niemanden, mit dem Ihr sprechen könntet.«
»Doch.«
Zum ersten Mal konnte man beim Diener so etwas wie Überraschung erkennen. Sein Druck gegen die Tür ließ nach, und er fragte erstaunt: »Wen meint Ihr?«
»Gesine
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