Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
herzlichen Begrüßung kam Nikolaus sofort zum Kern seines Anliegens: »Ich suche Helena Albrecht. War sie heute schon in ihrer Wohnung? Habt Ihr sie gesehen?«
Der Händler war ganz erschrocken. »Was ist denn passiert? Hat dieser elende Rüpel sie etwa wieder bedrängt?«
»Nein, das nicht. Aber ich muss dringend mit ihr sprechen.«
»Worum geht es denn?«
»Ihre Schwägerin Gesine Albrecht ist verschwunden. Vielleicht weiß sie ja, was mit ihr passiert ist.«
»Tut mir leid.« Reichenau zuckte mit den Schultern. »Nachdem meine Frau die Arme gestern ins Kloster begleitet hat, habe ich sie weder gesehen noch gehört, dass jemand in der Wohnung war.«
»Bitte bestellt ihr, dass ich sie suche.«
»Selbstverständlich helfe ich, wo ich nur kann.«
Nach einer schnellen Verabschiedung raste Nikolaus weiter zum Haus von Theodor Junk. Inzwischen war es ihm völlig egal, ob er wieder an diesen renitenten Diener geriet oder nicht. Er musste eine Spur von Helena oder Gesine finden, denn er machte sich ernsthafte Sorgen.
Zu seiner Überraschung öffnete diesmal ein junges Dienstmädchen. Sie machte einen sehr schüchternen Eindruck, war aber ausgesprochen freundlich und höflich – das genaue Gegenteil des überheblichen Dieners. Doch Nikolaus hatte wieder kein Glück: Gesine war immer noch nicht zum Dienst erschienen. Und auch Helena war seit gestern nicht mehr gesehen worden.
So fand sich Nikolaus schließlich auf dem Markt wieder. Ratlos und vom vielen Hin- und Hergerenne erschöpft, blieb er einfach mitten zwischen den Menschen stehen. Während das geschäftige Treiben und Handeln um ihn herum brandete, dachte er darüber nach, welche Schritte als Nächstes an der Reihe waren. Oder genauer gesagt, welche Möglichkeiten ihm überhaupt noch blieben.
Gesine war höchstwahrscheinlich verschleppt worden. Von wem? Wer profitierte davon, dass Albrechts Mappe – falls sie überhaupt bei Gesine gewesen war – verschwunden war? Theodor Junk, der nicht riskieren wollte, dass die heimlichen und sicherlich auch unredlichen Abmachungen ans Licht kamen? Peter Finken, der den Schaden an seiner Scheune ersetzt haben wollte? Konstantin Junk, Thomas von Buschfeld und die übrigen aus der Clique der Ratsherrensöhne, die von Herrmann Albrecht übers Ohr gehauen worden waren? Oder endete die Suche schließlich doch bei Adam Grimbach, der aus Rache dafür, Helena nicht bekommen zu haben, seinen Nebenbuhler in den Tod stürzte? Hatte der Gefangene unter Umständen doch etwas gesehen? Das musste Nikolaus überprüfen. Wenn er doch wenigstens wüsste, wer dieser Kerl war.
Nikolaus schnippte mit dem Finger und murmelte: »Dominikus Vierland.« Bestimmt konnte der am ehesten sagen, mit wem sich sein Sohn herumgetrieben hatte. Trips wusste sicherlich, wo die Vierlands wohnten.
Nikolaus betrat also wieder die kleine Gasse, die zu St. Gangolf führte. Inzwischen war er schon so oft hier gewesen, dass ihm diese Ecke richtig vertraut war. Er suchte längere Zeit nach dem Priester, konnte ihn aber nirgends finden – weder im Kirchenraum noch in der Sakristei. Erst ein Ministrant, der gerade durch das Kirchenschiff eilte, konnte Auskunft geben. Trips war oben im Dachstuhl bei den Arbeitern.
Der junge Jurist eilte zum Turm und flitzte die Treppe hinauf. Oben angekommen war er außer Atem. Zum Glück war er den dunklen Weg unterm Dach schon einmal gegangen, so konnte er wenigstens ungefähr einschätzen, wo die Kisten und anderes Gerümpel aufgestapelt standen. Mit vorgestreckten Armen kurvte er zwischen den Hindernissen hindurch in Richtung der hellen Dachöffnung, an der noch immer gearbeitet wurde.
Ulrich Trips zuckte erschrocken zusammen, als Nikolaus plötzlich neben ihm stand. »Meister Krebs! Wollt Ihr, dass ich einen Schlag bekomme?«
»Entschuldigt bitte, aber ich habe ein paar wichtige Fragen.«
»Natürlich, natürlich. Wenn ich helfen kann.«
Nikolaus zog den Priester ein Stück von den Arbeitern weg. Sie mussten nicht unbedingt alles mitbekommen. »Wann habt Ihr zum letzten Mal Gesine Albrecht gesehen?«
»Wieso? Ist was mit ihr?«
»Sie ist verschwunden.«
»Oh, wie schrecklich!« Trips schlug die Hände vors Gesicht. »Wir müssen sie suchen.«
»Das wird schon gemacht.«
»Dann sollten wir mithelfen.«
Schon wollte er loslaufen, aber Nikolaus konnte ihn gerade noch am Ärmel erwischen und aufhalten. »Wartet bitte! Am besten bleibt Ihr hier in St. Gangolf und haltet die Stellung.«
Er nickte fleißig. »Ja, gut,
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