Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
Schein des Tageslichts, das durch die Tür hereinfiel, erkannte man deutlich einige Flecken auf der Erde. Der junge Mann hockte sich nieder und betastete sie vorsichtig. Die kleineren Flecken waren schon eingetrocknet, die größeren noch leicht klebrig.
»Das ist eindeutig. Blut.«
»Was?« Der gewichtige Mann schrie fast.
»Hier muss jemand geblutet haben.«
Am Tisch neben einem der Stühle hatte sich sogar eine kleine Lache gebildet, und einige Tropfen waren in Richtung der Tür verwischt.
»Hier ist jemand verletzt worden. Vielleicht sogar hinausgeschleift worden.«
Der Nachbar klagte: »Die arme Gesine ist verschleppt worden!« und lief hinaus.
Nikolaus fand weitere Tropfen auf der Treppe, die ihm zwischen dem Dreck und Staub vorher nicht aufgefallen waren. Er stieg suchend hinab. Im Hof verlor sich die Blutspur. War Gesine verletzt worden? Oder hatte ihr nächtlicher Besucher etwas abbekommen, als sie sich gegen ihn verteidigen musste? Warum hatte sie nicht um Hilfe geschrien? Oder hatte sie nicht mehr die Möglichkeit gehabt? War sie überhaupt noch am Leben? Er konnte es einfach nicht fassen und rieb sich die pochende Stirn. Schon wieder ein Mord?
Plötzlich kam der korpulente Nachbar laut hechelnd angewatschelt. Ein paar Pfund weniger, und er wäre sicherlich nicht so schnell außer Atem. Ihm folgte ein halbes Dutzend anderer Männer, jüngere und ältere. Alle blickten ernst und grimmig, sodass Nikolaus erschrocken zurückwich.
»Wir gehen Gesine jetzt suchen!«, erklärte der dicke Anführer der Schar. »Wenn wir was hören oder sie finden, geben wir Bescheid.«
Nikolaus konnte nur nicken, ehe der Suchtrupp auf der Straße verschwand. Der junge Mann eilte bis zur Toreinfahrt und sah gerade noch, wie die Leute in alle Richtungen davoneilten. Gesine musste von ihren Nachbarn wirklich geschätzt werden, wenn diese sofort bereit waren, alles stehen und liegen zu lassen, um die Frau, die ganz offensichtlich in Bedrängnis war, zu suchen. Nikolaus war beeindruckt.
Wo könnte Gesine sonst noch sein? Vielleicht bei ihrer Ziehtochter und Schwägerin? Genau. Möglicherweise hatte sie bei Helena Schutz und Trost gesucht. Also eilte er los zum Katharinenkloster.
Ungestümer als allgemein üblich klopfte er an die Tür. Seine Unruhe und die Sorge um den Verbleib von Herrmann Albrechts Schwester trieben ihn an. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Hoffentlich konnte er sie noch lebend finden. Erst nach mehrmaligem Klopfen hörte man ein ärgerliches Grummeln und eilige Schritte hinter der Tür.
Die ältere Pförtnerin öffnete und fragte außer Atem: »Was kann ... kann ich für Euch ... tun?«
Nikolaus erklärte, dass er dringend mit Helena sprechen musste.
Nachdem die Nonne ein paarmal tief durchgeatmet hatte, antwortete sie: »Das geht leider nicht, mein Herr. Die Witwe Albrecht ist vor Kurzem gegangen. Ich denke, zum Markt.«
»Wann genau?«
Die Pförtnerin machte ein entrüstetes Gesicht. »Aber gnädiger Herr! Ich führe hier doch keine Liste.«
»Aber vielleicht könntet Ihr mir verraten, ob die arme Witwe gestern Abend oder in der Nacht noch Besuch bekommen hat.«
»Was meint Ihr?«
»Bekam sie noch Besuch von ihrer Schwägerin Gesine Albrecht?«
Das Gesicht der Nonne verdüsterte sich zusehends. »Nachts kommt hier nur jemand mit Einverständnis der Äbtissin hinein.«
»Dann ist Gesine Albrecht also nicht in Eurem ehrwürdigen Stift?«
Die Pförtnerin räusperte sich ungehalten.
»Dann sagt der Witwe Albrecht bitte, dass ich da war und sie sprechen möchte. Sie findet mich im Domkapitel.«
Damit verabschiedete er sich, und die Tür des Klosters fiel krachend hinter ihm ins Schloss.
Im Laufschritt hastete er zum Marktplatz und hielt nach Helena Ausschau. Er lief zwischen den Ständen der Händler hin und her. Dann eilte er durch die sich anschließenden Verkaufsbereiche wie die Brot- und Fleischstraße. Aber die junge Witwe war nirgends zu finden. Schließlich blieb er wieder mitten auf dem Markt stehen und drehte sich suchend langsam im Kreis.
»Ist ja auch kein Wunder. Wie soll ich eine bestimmte Person in solch einer großen Stadt finden? Als müsste ich die Nadel im Heuhaufen suchen. Das wird nichts. Sie kann überall sein.«
Oder war sie noch einmal in die Wohnung ihres Mannes gegangen? Nikolaus marschierte in die Webergasse. Er traf den Tuchhändler Reichenau zwischen all seinen großen und kleinen Ballen an Leinen, Seide, Brokat und Wolle.
Nach der freundlichen und
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