Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
mach ich.«
»Wann habt Ihr Gesine Albrecht nun das letzte Mal gesehen?«
Der Priester überlegte: »Vorgestern. So um Mittag. Kurz nachdem der Leichnam ihres Bruders fortgebracht worden war.«
»Wo ist er eigentlich aufgebahrt?«
»Bei einem der Zimmermannsmeister. Bei wem, weiß ich nicht. Aber ich kann mich danach erkundigen.«
»Danke. Das wäre sehr hilfreich.«
Der Priester klatschte befriedigt in die Hände. Er freute sich sichtlich, dass er helfen konnte.
Nikolaus fragte weiter: »Und wann habt Ihr Helena zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern. Ich habe mit ihr über die Messe gesprochen, die zu Ehren des Toten gelesen werden soll.«
»Habt Ihr Helena oder ihrer Schwägerin noch Sachen von Herrmann Albrecht gegeben?«
»Was für Sachen?«
»Persönliche Dinge des Meisters.«
»Da war nichts mehr. Er hatte seine Kleidung am Leib. Dass er noch Werkzeug hier hatte, ist mir nicht bekannt. Sucht Ihr denn etwas Bestimmtes?«
Nikolaus nickte. »Die lederne Mappe, die Albrecht immer bei sich trug.«
»Ja, ich erinnere mich. Darin hatte er seine Zeichnungen. Die legte er üblicherweise immer auf die kleine Kiste an der Treppe.«
»Und wer hat die Mappe jetzt?«
»Oh ... äh ...« Der Priester raufte sich ratlos die Haare.
»Habt Ihr sie Gesine oder Helena gegeben?«
»Bestimmt nicht.«
»Oder ist sie mit dem Leichnam abtransportiert worden?«
»Auch nicht. Da bin ich mir sicher. Dann hätte ich sie ja vom Turm herunterholen müssen. Vielleicht hat Meister Grimbach sie ja genommen. Fragt ihn doch am besten.«
»Habe ich schon. Er hat die Mappe auch nicht. Er hat sie das letzte Mal gesehen, als er nach Albrechts Sturz die Treppe hinunterlief.«
»Und wenn sie in der Kiste liegt? Oder dahintergefallen ist?«
Daran hatte Nikolaus noch gar nicht gedacht. Und schon waren die beiden Männer auf dem Weg zum Turm am gegenüberliegenden Ende des Daches. Sofort riss Ulrich Trips den Deckel auf. Aber außer einem verrosteten Hammer und einigen Lederriemen war nichts in der Kiste. Auch hinter oder unter ihr war keine Spur von den Unterlagen.
»War jemand nach dem Sturz hier oben auf dem Turm?«, fragte Nikolaus.
»Nur diese grässliche Horde von Verrückten, die meinten, die Arbeiter trügen die Schuld am tragischen Tod des armen Meisters. Könnten die die Mappe genommen haben?«
Nikolaus zuckte mit den Schultern. Aber eigentlich konnte er sich das am wenigsten vorstellen. Was hätten die damit anfangen sollen? Die hatten doch nur nach Blut gelechzt, hatten so schnell wie möglich einen Schuldigen haben wollen, den sie am besten sofort aufknüpfen oder erschlagen konnten. Viel wahrscheinlicher war, dass der Dieb später hier heraufgeschlichen war, um sich die verräterischen Papiere zu sichern. Nikolaus blickte zum Bretterverschlag hinüber. Oder der Dieb war der geheimnisvolle Beobachter mit der Gugel, der sich dort versteckt hatte. Vorsichtshalber riskierten die beiden noch einen prüfenden Blick in den kleinen Raum hinein. Aber wie schon bei Nikolaus’ erster Durchsuchung war das einzige ungewöhnliche Inventar die Branntweinflasche.
Hier gab es vorläufig nichts mehr, das ihn interessierte. So bat er den Priester nur noch, ihm zu erklären, wo Dominikus Vierland wohnte. Der junge Mann bedankte sich für die Auskunft und eilte die Treppe hinab.
Der Schöffe Vierland
Wie der Priester von St. Gangolf erklärt hatte, stand das Haus des Schöffen Vierland in der Simeonstraße auf halber Strecke zwischen Markt und Simeonskirche auf der rechten Seite. Das Haus,
Zum Säulchen
genannt, war nicht zu übersehen. Es war einer der jahrhundertealten, wehrhaften Wohntürme, von denen es noch einige in Trier gab. Der eigentliche Eingang befand sich im ersten Stock. Eine hölzerne Treppe führte von der Straße zu der schweren Eichentür an der rechten Seite der Fassade.
Schnell stieg Nikolaus die Stiege hinauf und pochte an die Tür. Im Haus war nichts zu hören. Er versuchte es abermals – wieder ohne Erfolg. Gerade als er enttäuscht abziehen wollte, wurde von innen der Riegel zur Seite geschoben. Das Gesicht einer Frau mittleren Alters erschien im schmalen Spalt. Man konnte nicht viel von ihr erkennen.
»Was wünscht Ihr, mein Herr?«
Nikolaus nannte seinen Namen und erklärte, dass er gerne mit dem Schöffen wegen des Todes seines Sohnes sprechen wollte. Langsam öffnete sich die Tür. Nun konnte man sehen, dass die Frau Mitte vierzig war. Ihre Augen waren gerötet und geschwollen vom Weinen. »Was wisst
Weitere Kostenlose Bücher