Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
würde es jeden Augenblick in sich zusammenbrechen. Das Dach war schief und auf einer Seite schon teilweise eingestürzt. Dabei sahen die freiliegenden Balken noch recht frisch aus. Das Mauerwerk hatte Risse, die vom Dach bis zum Boden reichten.
Nikolaus schaute sich um. Wo war er gerade? Konstantins Freundin Elise hatte gesagt, dass der Mann, der sich bei Theodor Junk wegen seiner Söhne beschwert hatte und daraufhin verprügelt worden war, im letzten Haus auf der rechten Seite wohnte, wenn man über die Brotstraße in Richtung Stadtmauer ging. Jakob Monheim sollte also hier wohnen. Aber das Gebäude passte auch zu der Beschreibung des halb eingestürzten Stalls des Viehhändlers Finken, wobei es laut Grimbach doch am Ende der Neustraße lag.
Der junge Mann fragte einen Burschen, der einen leeren Karren die Straße entlangschob, nach dem Namen dieser Straße. Es stellte sich heraus, dass an der Ecke zur Webergasse aus der Brot- die Neustraße wurde. Also bezogen sich die Beschreibungen von Adam Grimbach und Elise auf ein und dasselbe Haus! Der misshandelte Monheim wohnte bei Peter Finken.
Es war Mittagszeit – im Moment waren nicht viele Menschen unterwegs. Auch im Hof des Viehhändlers war niemand zu sehen. Vorsichtig betrat Nikolaus das Gehöft. Er wollte sich Herrmann Albrechts Kunstwerk gerne näher betrachten. Von hier aus sah es auch nicht besser aus. Das Dach war auf der rechten Seite komplett eingestürzt. Durch die offen stehenden Tore erkannte man ein wirres Durcheinander von Stroh, Brettern, Balken und Wagen, die beim Einsturz des Daches dort gestanden hatten und nun beschädigt waren. Auch ein Stück Mauerwerk war eingestürzt und lag auf dem Hof.
Nikolaus trat näher, um sich das Tohuwabohu genauer anzuschauen. Zwei tragende Balken waren mehrfach durchgebrochen. Grimbach hatte erklärt, dass Albrecht das Fundament falsch eingeschätzt hatte und sich Wände gesenkt hatten. Man erkannte es an den gerissenen und teilweise eingestürzten Mauern. Als sich die stützenden Wände verschoben hatten, war das Gewicht der Dachkonstruktion plötzlich falsch verteilt, und die Fachwerkkonstruktion musste versagen.
Aber etwas fand Nikolaus eigenartig. Die Scheune war ein Firstständerhaus: eine aus mehreren Teilen gebaute Stütze reichte vom Boden bis unter den First. Beim Umbau war diese verlängert worden – man sah es an der unterschiedlichen Verfärbung des Holzes –, sodass der Raum unter dem Dach vergrößert worden war. Dann waren zwei Böden eingezogen worden, die über leichtere Ständer auf den großen, quer durch die Scheune reichenden Dachbalken ruhten. Und genau dort, wo diese Ständer auflagen, waren die Balken gebrochen. Warum? Nikolaus war zwar kein Zimmermann, aber er fand es nicht logisch. Das Gewicht des Daches und der Sparren lag weiterhin auf der mittleren Stütze und den Außenmauern. Die zusätzlichen Ständer mussten nur das Gewicht der dort gelagerten Sachen tragen, allem Anschein nach Stroh und Heu. Beim Absacken einer Wand müsste eigentlich die Auflage der Sparren außen abreißen und der Dachbalken lediglich an der Verbindung zum feststehenden Firstständer brechen. Das gleiche Ergebnis gäbe es auch, wenn Letzterer nachgeben würde.
Nikolaus stieg über ein paar kreuz und quer liegende Hölzer, um sich den ihm unerklärlichen Bruch der Dachbalken genauer anzusehen, denn das Holz war kaum gesplittert – im Gegensatz zu vielen anderen Sparren und Stützen. Als er über die Bruchstelle strich, rieselten Späne heraus. Wo kamen die denn her? Solche Späne entstanden doch eigentlich nur beim Bohren von Löchern für Holzdübel. Hier gab es tatsächlich ein Loch. Wozu? Es reichte doch, wenn der Zapfen des Ständers in der Nut des Balkens steckte. Das Gewicht des Bodens sorgte schon dafür, dass die Konstruktion nicht auseinanderfiel. Nikolaus schaute genauer hin. Durch ein und dieselbe Öffnung waren mehrere Löcher in verschiedenen Richtungen in den Balken gebohrt worden. Es sah aus, als hätte ein riesenhafter Holzwurm den Balken durchwühlt.
Nikolaus untersuchte auch die anderen Bruchstellen. Das Holz war jeweils auf die gleiche Weise geschwächt worden, und zwar so, dass es von außen kaum auffiel. Das eine sichtbare Loch konnte man schnell zustopfen oder etwas darüberhängen. Und als die Böden, die auf diesen Stellen fußten, zu schwer wurden, gaben die Balken nach, rissen die mittlere Firststütze um, und das Dach stürzte ein.
Der junge Mann verließ das Durcheinander mit
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