Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
Gewissen, wenn nicht sogar noch mehr.
Aber morgen war auch noch ein Tag. Um sich abzulenken, würde Nikolaus versuchen, sich ein Buch aus der Bibliothek zu holen und den Abend mit Lesen zu verbringen. Das würde seine wirren Gedanken ganz bestimmt beruhigen. Mal sehen, welche anregenden Werke er sich ausleihen könnte.
Der verschwundene Freund
Trotz der anregenden Lektüre am Abend – Nikolaus hatte sich einen Band mit wundervollen Zeichnungen aus Galens 32 medizinischem Hauptwerk
Methodi medendi
ausgeliehen – war die Nacht eine Qual gewesen. Er hatte bis Mitternacht wach gelegen und sich grübelnd hin und her gewälzt. Was war mit Gesine geschehen? Wo versteckten sich die drei Räuber und Erpresser? Was hatte Albrecht dem Schöffenmeister bieten können? Was hatten die Ratsherren vom ihm gewollt? Warum hatte er sterben müssen? Hatte Helena ihre uneheliche Abstammung gekannt? Was hatte Finken von Elise erfahren? Womit hatte er Junk unter Druck setzen wollen?
Dementsprechend unausgeschlafen war der junge Mann am Morgen. Beim Waschen fasste er seine Situation zusammen: lustlos, ratlos, hoffnungslos. Die Bande der jugendlichen Blutsauger war zwar zerschlagen worden, aber es fehlten noch immer drei ihrer Mitglieder. Und dem Geheimnis um den Tod des Zunftmeisters war er noch nicht näher gekommen. Diejenigen, die möglicherweise etwas zur Lösung beitragen konnten, waren tot oder verschwunden: Sebastian Vierland und Gesine Albrecht. Alle anderen – und das waren die meisten – hielten dicht.
Wer hatte so viel Einfluss und Macht, dass sich niemand – zum Beispiel ein Ratsherr – traute, den Mund aufzumachen? Wieder musste Nikolaus an den ihm unsympathischen Theodor Junk denken. Nur jener erschien ihm in der Lage, Menschen so unter Druck zu setzen, dass sie sich mehr oder weniger freiwillig seinem Willen unterwarfen. Durch seinen Reichtum als erfolgreicher Händler und seine Macht als Schöffenmeister konnte er andere ganz leicht manipulieren: Wenn du nicht schweigst oder genau das sagst, was ich will, bekommst du keine Arbeit mehr, pfände ich dir dein Haus oder du bekommst auf irgendeine andere Art Unannehmlichkeiten. Auch ein Mord war Junk ohne Weiteres zuzutrauen, wie der unerwartete Tod seiner treulosen Ehefrau zeigte.
Der Gefangene Rudolf Schauf hatte gestern noch behauptet, nichts von seinen Freunden zu wissen. Inzwischen sollte er gemerkt haben, dass auch Heinrich und Peter im Kerker saßen. War er heute eher zur Zusammenarbeit bereit? Vielleicht hatten ja auch die beiden Laufburschen das Bedürfnis, ihr Gewissen zu erleichtern. Am besten, bevor der Dompropst mit Folter drohte und dabei irgendwelche Fantasiegeständnisse herauskamen, die nur sehr wenig mit der Wahrheit gemein hatten.
Nikolaus holte sich rasch ein Frühstück aus der Küche, schlang es hastig hinunter und eilte dann hinüber zur Wachstube. Er fand zwei Soldaten, die er bisher noch nie gesehen hatte, beim Würfeln. Sie knurrten eine kurze Begrüßung und widmeten sich dann weiter ihrem Spiel.
»Ist der ehrwürdige Dompropst schon bei den Gefangenen gewesen?«, wollte er wissen.
Ohne sich umzudrehen, stellte eine Wache die Gegenfrage: »Welche Gefangenen?«
Nikolaus zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. »Die im Kerker natürlich. Oder habt Ihr noch andere?«
Endlich drehte sich der Soldat um. »Wenn Ihr Euch hier aufplustern wollt, sitzt Ihr ganz schnell da unten. Ist das klar?«
Der junge Mann atmete einmal tief durch. »Ich nehme an, Ihr kennt mich nicht.«
Die Wache stand auf und baute sich breitbeinig vor ihm auf. »Ihr seid ganz schön frech. Gleich ist meine Geduld zu Ende, und dann gibt’s ein paar gehörige Backpfeifen. Verschwindet also lieber so schnell wie möglich.«
Plötzlich erklang eine freudige Stimme vom Eingang her: »Seid gegrüßt, Doktor Krebs. Was können wir für Euch tun?«
Der Angesprochene drehte sich herum und erkannte Konrad Seidel, den Hauptmann der Niederburg in Manderscheid, den er vor einiger Zeit dort kennengelernt hatte. Die beiden Männer begrüßten sich herzlich.
Nikolaus fragte schließlich: »Und wie geht es Eurer Frau?«
»Christina hat zwar etwas gebraucht, um sich hier einzuleben. An den Unterschied zwischen dem lebendigen, großen Trier und dem düsteren, engen Tal muss man sich erst gewöhnen. Aber wir haben hier ein neues Leben begonnen. Wir danken dem Herrn immer wieder für Eure Hilfe.«
»Das war doch selbstverständlich. Aber sagt doch, ich habe Euch in der ganzen Zeit,
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