Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
könnte. Aber Elise konnte mir auch nicht sagen, wo Konstantin und Crispus abgeblieben sind.«
Die Wache wurde hellhörig. »Elise sagtet Ihr?«
»Ja.«
»Ein blutjunges, blondes Ding?«
»Ja.«
»Das war diejenige, die Finken eingesperrt hatte.«
Nikolaus war fassungslos. War dies nur ein Zufall? Nein. Da steckte mehr dahinter! »Erst hat Finken die Scheune einstürzen lassen und Herrmann Albrecht die Schuld dafür gegeben. Er hatte es wohl auf einen saftigen Schadensersatz abgesehen. Als der Meister starb, setzte er Helena Albrecht unter Druck. Ich habe ja gesehen, dass er sie sogar zwingen wollte, auf unehrenhafte Weise die vermeintlichen Schulden abzubezahlen. Als das schiefging, schnappte er sich Konstantins Freundin. Offensichtlich wollte er etwas aus ihr herausholen, was er als Druckmittel gegen Theodor Junk gebrauchen konnte. Die Frage ist nur: was? Oder hat er etwas Bestimmtes erfahren? Das können uns nur Finken oder Elise beantworten.«
Der Dompropst reckte sich wieder und befahl dem Soldaten: »Der Finken muss sofort geholt werden. Ich will noch heute Abend wissen, was er von dieser Elise wollte. Und anschließend holt Ihr auch sie her.«
Die Wache machte sich sofort wieder auf den Weg. Von draußen hörte man, wie weitere Soldaten zusammengerufen, Befehle gegeben und Pferde bestiegen wurden.
Nachdem das Hufgetrappel der Reittiere verklungen war, näherte sich Meuren Nikolaus und raunte ihm ins Ohr: »Kein Wort über das, was bei Junk gesagt wurde. Sonst ist Euer Leben keinen Heller mehr wert. Ist das klar?«
Der junge Mann war zu erschrocken, um antworten zu können. Er nickte nur. Mit einem grimmigen Knurren verließ Meuren den Raum.
Nikolaus lehnte sich an die kühlende Wand und atmete ein paarmal tief durch. Würde es der Dompropst tatsächlich wagen, ihn zu töten? Oder war es nur eine Warnung, Nikolaus’ Karriere im Dienste des Kurfürsten oder irgendeines anderen Herrn zu zerstören? Er wusste es nicht. Doch wenn er an den Ehrgeiz und die Geltungssucht Meurens dachte, erschien auch ein Mord nicht ausgeschlossen. Lieber das Leben eines anderen auslöschen, als dass die mühsam erreichte Macht und Position durch einen vor vielen Jahren begangenen Fehler gefährdet wurden.
Nikolaus verließ die Wachstube und ging langsam auf den Markt. Der Nachmittag war alles andere als erfolgreich gewesen. Anstatt einen plausiblen Hinweis auf den Verbleib der letzten drei Ratsherrensöhne aus der Bande zu erhalten, war lediglich bekannt geworden, wer Helenas Vater war. Aber dies brachte ihn auch nicht einen Deut näher an die Lösung des Geheimnisses. Warum musste Herrmann Albrecht sterben? Was hatte er Junk bieten können, um an diese junge Braut zu kommen? Wo waren Konstantin, Crispus und Thomas?
Der junge Mann schlenderte über den Marktplatz, als er jemanden aus dem Augenwinkel sah, der ihn beobachtete. Wieder seine Verfolger von gestern? Vorsichtig drehte er sich zur Seite. Es war der Bettler, der ihn vorgestern bei St. Gangolf angesprochen hatte. Er lehnte an der Hauswand neben dem Durchgang zur Stadtkirche. Mit einem kurzen Nicken deutete die zerlumpte Gestalt einen Gruß an. Nikolaus ging hinüber und erwiderte die freundliche Geste.
»Ich treffe Euch immer hier bei St. Gangolf. Betet Ihr öfter dort?«
Der Bettler lachte. »Seitdem der Priester beim Tod meiner Tochter und meiner Frau sagte, ›Gott brauchte dringend zwei Engel‹, habe ich nie wieder eine Kirche betreten. Mit so ‘nem gemeinen und egoistischen Gott will ich nichts zu tun haben. Der da oben hat doch schon genug Engel. Wozu braucht er dann meine zwei noch? Ich brauche meine Frau dringender und will meine Tochter in den Arm nehmen.«
Nikolaus nickte. Manche Geistliche hatten eine unmögliche Art, mit dem Tod von Menschen umzugehen. Die merkten gar nicht, wie viel zusätzlichen Schmerz und Leid sie den Hinterbliebenen zufügten. Und am allerschlimmsten: Sie machten den Schöpfer zum Schuldigen. Schon der Apostel Paulus schrieb an die Christen in Rom:
Gibt es bei Gott Ungerechtigkeit? Dazu komme es nie!
30 Dagegen wird immer wieder vergessen, was der weise König Salomo sagte:
Zeit und unvorhergesehenes Geschehen trifft sie alle
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Um von diesem Thema abzulenken, fragte Nikolaus: »Was macht Ihr mit dem Geld, das Ihr erbettelt? Kauft Ihr Euch Branntwein?«
Der Bettler schüttelte den Kopf. »Seitdem ich vor einem Jahr im Suff in die Mosel gefallen und fast ersoffen bin, habe ich keinen Schnaps mehr angerührt. Mit dem Geld
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