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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz
Autoren: Kai Meyer
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Höhlenkammern vermutete. Rund um die Ruine gab es einen fünf Meter tiefen Graben, an dessen Grund Gräser und vereinzelte Büsche wuchsen. Darüber hinweg führte eine Zugbrücke; helles Holz, blitzende Beschläge.
    Hinter einer schmalen Eisentür führten mehrere Stufen hinab in ein enges Kellergewölbe. Der Raum war voller Studenten. Carsten ergatterte einen Tisch in der Nähe des Eingangs, Sebastian besorgte die Getränke.
    »Wie lange arbeitest du schon für die Zeitung?«, fragte Carsten, als sie sich schließlich gegenübersaßen.
    »Seit dem Tag, an dem Michaelis hier in Tiefental auftauchte.« Sebastian sah sich um und lächelte. »Hier drin hat mein Bewerbungsgespräch stattgefunden.«
    Carsten sah ihn fragend an, und Sebastian fuhr fort: »Ich hab hier unten als Kellner gejobbt und kam mit Michaelis ins Gespräch. Er erzählte irgendwas von Medienreform im Osten, von Mangel an guten Journalisten und so weiter. Schließlich war er so betrunken, dass er mir einen Job anbot.«
    »So einfach?«
    Sebastian grinste. »Die Getränke gingen auf meine Rechnung.«
    »Und vorher?«
    »Schule, Ausbildung, Studium, dann die Zeitung.«
    Carsten nahm einen Schluck aus seinem Glas und sah sich um. An der Theke drängten sich Gäste, um Getränke zu bestellen. Von der Bogendecke baumelten nackte Glühbirnen.
    »Wie kommt es, dass das Ordnungsamt noch nicht vor der Tür steht?«
    Sebastian schob seine Brille mit dem Zeigefinger hinauf bis zur Nasenwurzel. Er hob die Schultern. »Ein paar Studenten der Kunsthochschule haben das Gewölbe Anfang der achtziger Jahre flottgemacht. Nach der Wende haben sie es auf die neuen Bestimmungen umgerüstet. Behaupten sie zumindest.«
    Noch während Sebastian sprach, sah Carsten zur Tür und erkannte ein bekanntes Gesicht. Nina kam lachend herein, in ihrem Gefolge zwei junge Männer. Als hätte sein Blick den ihren angesogen, wandte sie sich mit einem Mal um und sah genau in seine und Sebastians Richtung. Sie lächelte erfreut, ließ ihre Begleiter für einen Augenblick stehen und drängte sich durch die Menge zu ihnen an den Tisch.
    »Hi«, grüßte sie fröhlich, schüttelte Carsten die Hand und drückte Sebastian einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.
    Nach ein paar höflichen Bemerkungen kehrte sie zu den anderen zurück, hakte sich bei beiden unter und verschwand im Gewühl.
    Sebastian bemerkte seinen Blick und grinste. »In Wirklichkeit ist sie noch netter, als sie aussieht.«
    »Seid ihr beiden …«
    Sein Gegenüber lachte. »Zusammen?« Er schüttelte den Kopf. »Niemand ist mit Nina zusammen, nicht wirklich. Es gab mal eine Zeit, in der wir uns ganz gut verstanden haben, aber das liegt eine Weile zurück. Wir sehen uns gelegentlich.«
    Carsten wechselte das Thema. »Du warst im Gefängnis?«
    »Ein halbes Jahr. Wir hatten uns damals zu mehreren Leuten in einem leerstehenden Haus eingenistet. Eine Weile ging das gut, bis irgendjemand die Nase voll von uns hatte und die Bude räumen ließ. Ein paar von uns wurden inhaftiert.« Er machte eine kurze Pause und nahm einen weiteren Schluck von seinem Bier. »Aber das war nicht das Schlimmste. Sie haben damals meine Verwandtschaft ausgehorcht, alle Freunde verhört und auf Biegen und Brechen versucht, mir aus jeder Kleinigkeit einen Strick zu drehen. Ist ein eigenartiges Gefühl, wenn du merkst, dass irgendwer in deinem Leben rumschnüffelt.«
    Carsten hörte interessiert zu, als Sebastian die Details seiner Verhaftung und ihre Folgen schilderte. Es verging über eine Stunde, ehe Nina plötzlich wieder neben ihrem Tisch stand, ein leeres Bierglas in der Hand. Keiner der beiden hatte bemerkt, wie sie näher gekommen war. Ihre Begleiter waren verschwunden. »Störe ich?«
    Carsten schüttelte den Kopf. Sie lächelte dankbar. »Habt ihr beiden noch Lust, irgendwo was essen zu gehen?«
    Sebastian grinste. »Hat dein Chauffeur dich versetzt?«
    »Ich hab ihm gesagt, er soll sich sein Auto in den Hintern schieben.« Sie sagte es ohne Groll, wie selbstverständlich. Und sie brachte es fertig, dabei ihr bezauberndstes Lächeln aufzusetzen. »Was ist nun? Habt ihr Hunger, oder nicht?«
    Sie endeten in einem Stehimbiss, der fünf verschiedene Sorten schwammiger Pizza anbot. Der Chinese, bei dem sie hatten essen wollen, hatte Ruhetag, ein italienisches Restaurant war restlos überfüllt, und nach bürgerlicher Küche war keinem zumute.
    Lustlos schlangen sie weichen Teig und fettigen Belag hinunter und sprachen wenig dabei. Nina hatte ein
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