Schweigfeinstill
neue Kamera auszuprobieren. Mein Magen knurrte, als ich an der Schweinsmann-Wohnung vorbeilief.
»Na?« Eine Frau schoss aus der Tür. »War jemand daheim bei Parisek?«
»Nein. Ich habe das Päckchen abgelegt.«
»Typisch. Die arbeiten beide Spätschicht.« Die Frau legte den Kopf schief. Sie trug einen engen Jeansrock, Pulli und Socken über den blickdichten Strumpfhosen. Vielleicht war sie 40, vielleicht 50. Merkwürdig alterslos blickten mich die hellen Augen an. Die Frau war nützlich. Ich sollte sie ausfragen, nach Gina vielleicht, nach Jenny.
»Ich glaube, ich habe schon einmal etwas in dieses Haus geliefert. Für Steinfelder«, sagte ich.
»Hat hier nie gewohnt. Wir wohnen seit 20 Jahren hier, das müsste ich wissen.« Die Frau blieb stehen und sah mich neugierig an. »Sie haben keinen kleinen Computer dabei, mit dem sie die Auslieferungen verbuchen.« Die Tussi war imstande und stieg in den dritten Stock hoch, um nachzusehen, ob wirklich ein Päckchen auf dem Fußabstreifer lag.
Ich zückte meinen Journalistenausweis, schwenkte ihn kurz vor den wasserblauen Augen und sagte: »Ich komme von der Kopier-Kiste. Die Pariseksche Doktorarbeit ist gedruckt.«
Frau Schweinsmann zog die Brauen zusammen.
»Der ist doch Werkzeugmacher!«
Ich hätte am liebsten laut gelacht. In Frau Schweinsmanns Leben passierte nicht viel. Ihr Gehirn hungerte nach Nahrung. Am leichtesten ließ die sich beschaffen, indem man das Leben anderer unter das Mikroskop zwang.
»Egal. Sie glauben ja nicht, was man alles über seine Nachbarn lernt im Lauf der Zeit. Hier zum Beispiel«, sie zeigte mit dem Daumen auf die Tür, wo der Name ›Lehr‹ stand, »gehen beinahe täglich junge Frauen ein und aus. Und zwar die hübschesten, die München zu bieten hat. Richtige Modelfiguren.«
»Ach, ja?«
»Dabei wohnt der Herr Lehr gar nicht hier. Der kommt erst am späten Nachmittag, empfängt eine Dame und geht wieder.«
Aber Gina Steinfelder war Mitte 50, sie konnte nicht … spielte sie Edelhure? Ich schob meine eiskalten Hände in die Jackentaschen.
»Manchmal ist auch eine Frau in meinem Alter dabei. Kommt mit Herrn Lehr, dann kommt ein junges Mädchen.« Frau Schweinsmann sah auf ihre Armbanduhr. »Dürfte bald so weit sein.« Sie guckte mich an, als misstraue sie mir mit einem Mal.
Ich spielte die Ungeduldige: »Ich muss weiter. Tschüss!«
Noch im Auto spürte ich ihren Blick im Rücken. Als ich am Haus hochsah, gingen in ihrer Wohnung die Lichter aus.
22.
»So sieht es aus«, beendete Nero Keller sein Referat. Er klickte sich aus PowerPoint, und auf der Leinwand sah man seine Desktopoberfläche, die sorgfältig zurechtgeschobenen Ordner. Er hasste PowerPoint, aber Jassmund hatte ihm nahegelegt, dass Präsentationen mit dem Microsoftprogramm nun mal Standard waren, so sehr Nero sich dagegen wehrte. Nero schrieb noch nach der bewährten Rechtschreibung. Du siehst immer nur die Fehler des Neuen, aber nie die Fehler des Alten. Das hatte Leonor manchmal gesagt. Recht hatte sie, aber jetzt, wo sie nicht mehr da war, versteifte er sich noch mehr auf diese Haltung. Er schaltete das Notebook auf Standby. Kurz kam ihm Kea Laverde in ihrer lammfellgefütterten Bomberjacke in den Sinn. Nero besaß eine ausgeprägte Menschenkenntnis. Mit bestimmten Leuten konnte er gut. Ganz spontan. Mit Kea zum Beispiel. Wie sie sich wohl kleidete, wenn sie zu einem Kunden kam, fragte er sich.
»Ein paar Minuten Pause«, sagte Polizeioberrat Woncka und nickte Nero zu. Er war angetan von Nero und ließ es ihn merken. Er wollte den bärtigen KHK unbedingt in seinem Team haben. Das hatte man Nero gesagt, und er hatte eingewilligt, sein Referat kurzfristig zu halten, um sich bei den Kollegen bekannt zu machen. Die Präsentation war ohnehin fertig, er hatte am Informations- und Bildungszentrum der International Police Association in Gimborn den gleichen Vortrag gehalten.
»Ein instruktiver Vortrag, wirklich instruktiv.«
»Danke.« Nero räumte das Notebook in die dazugehörige Tasche.
»PowerPoint«, sagte Woncka, »formt unser Denken. Ich habe einen Aufsatz darüber gelesen. Wie wir uns beim Vorbereiten einer Rede zwingen, in den Kategorien von Überschrift und Unterpunkten zu denken. Wie wir unsere Inhalte so stutzen, dass sie in die vorgesehenen Folien passen.«
»Ich bin kein Freund dieser Medien«, sagte Nero kühl. Er wollte sich von Woncka nicht auf die Kumpelebene ziehen lassen. Sein Ziel war es, akzeptiert zu werden für das, was er
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