Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
gegenteiligen Eindruck. Sie wirkte auf ihn ausgezehrt und bitter. Als ginge sie zum Lachen aufs Klo. Er sagte nichts.
    »Aber was Sie da berichtet haben … die Idee, dass große Ringe von Kinderpornografie weggehen und sich stattdessen auf diese ganz harten Sachen verlegen … abartig.«
    »Es ist abartig, dass sie eine schreckliche Sache nicht fallen lassen, weil sie schrecklich ist, sondern weil sie ihnen zu heiß wird.«
    »Unsinn! Weil sie anderswo ein besseres Geschäft wittern«, sagte Sigrun West rasch und lächelte.
    »Mag sein.« Nero nickte. Er mochte ihren Scharfsinn. »Ich kann auch nicht abschalten. Konnte ich noch nie. Vor allem nicht abends. Ich gehe immer zu spät zu Bett.«
    »Da haben wir etwas gemeinsam.«
    Als sie zurück in den Konferenzraum gingen, dachte Nero, dass er nun nicht mehr zurückkonnte. Er hatte sich entschieden. Das LKA würde seine neue berufliche Heimat werden.

24.
    23. Juli 2005, 1:41
    Ihr Blick fiel auf die riesige Bahnhofsuhr, die an der Wand hängen geblieben war. Ansonsten lag alles in Trümmern. Sie schloss die Augen. Sie konnte nichts hören, keinen Ton. Die Welt spielte ihr Lehrstück lautlos weiter, voller Menschen, Chaos, Hektik, Lichtblitzen. Sie selbst lag in der umfassendsten Stille auf dem Boden. Bewegungslos. Es gab nur eines, dessen sie sicher war. Sie atmete. Also war da noch ein funktionierendes Gehirn, eine Lunge, ein Mund und eine Nase.
    Gesichter. Große Nasen, kleine Nasen, helle und dunkle Haare, aufgerissene Augen, gestikulierende Hände. Sie schloss die Lider. Das Dasein war schwarz und still, nur ihre Brust hob und senkte sich im Takt des Atems. Eine Nabelschnur aus Rhythmus verband sie mit der Welt, von der sie nichts hörte.
    Eine Berührung spürte sie. Am Arm. Also gab es noch einen Arm. Sie lupfte die Lider, sah ein Gesicht, das ihr bekannt vorkam. Braune Locken, einen Mund, der sich bewegte. Tanzende Lippen, dachte sie, als erzählte sie es sich selbst. Wie irrsinnig. Ein zweites Gesicht kam ins Blickfeld, und das kannte sie definitiv nicht. Seltsam, so ein Gefühl der Sicherheit in all der Stille.
    Unter ihr gluckste etwas Warmes. Wie eine auslaufende Wärmflasche. Aber hier würden sie keine Wärmflasche brauchen, auf dem Sinai, mitten im Sommer. Ich weiß, wo ich bin. Ich kenne die Jahreszeit. Ich kann denken, ich habe ein Gedächtnis. Ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, aber das tat weh, weil ihre Haut spannte.
    Das Leben hatte ihr noch ein anderes Sinnesorgan gelassen, das seine Arbeit tat. Sie konnte riechen. Verbranntes, schwelendes Zeug. Der giftige Geruch schnitt ihr in die Nase. Die Gesichter entfernten sich. Dann bewegte sich ihr Körper. Besser gesagt, er wurde bewegt. Geschaukelt, gestaucht, balanciert. Trümmer und Fetzen begannen sich um Kea zu drehen. Schnell, langsam, schnell, langsam. Sie wollte sagen, dass man diese Schaukelei unterlassen sollte, ihr würde schlecht werden, aber ihr Kopf schien außerstande, die passenden Wörter zu formen. Also hielt sie still, bis die schwarzen, rissigen Gegenstände aus ihrem Blickfeld verschwanden und stattdessen ein brennendes Weiß in ihre Augen stach. Nein!, dachte sie. Sagte sie? Nein! Das tut weh! Und mit einem Mal kam der Schmerz. Legte sich über den vertrauten Rhythmus ihres Atems. Ihr Kopf rutschte nach hinten. Das Weiß verlosch, aber der Schmerz blieb. Sie schrie.

25.
    Gina Steinfelder stöckelte über die Straße, sah sich unruhig um, zückte einen Schlüssel und betrat das Haus. Ich hielt den Atem an. Was jetzt? Mittlerweile war es stockfinster geworden. Ich war völlig erfroren von der Warterei im Auto. Von Zeit zu Zeit hatte ich aussteigen und den frisch gefallenen Schnee von der Windschutzscheibe fegen müssen. Viel Benzin hatte ich nicht mehr im Tank, und außerdem wollte ich den Motor nicht laufen lassen, um umweltbewusste Anwohner nicht zu provozieren.
    Ich richtete mich auf, schwang meine steifgefrorenen Beine aus dem Wagen und überquerte die Straße.
    In Nummer 28 ging im zweiten Stock Licht an. Ich drängte mich in den Hauseingang gegenüber, als Ginas Gesicht am Fenster auftauchte. Wartete sie auf ihren Geliebten? Also war es nicht Kugler. Der würde definitiv nie mehr kommen. Was machten die da? Ein Date zu dritt? Mit einer jugendlichen Schönheit? Ich hatte Gina Steinfelder als knallharte Geschäftsfrau kennengelernt, als eine, die Kosten und Nutzen gegeneinander abwog und mit Fleiß und Disziplin die Familie zusammenhielt. Aber was wusste man schon von

Weitere Kostenlose Bücher