Schweigfeinstill
Stress wert, irgendwo einzubrechen und Unterlagen zu stehlen? Ich schüttelte den Kopf. In meinen Augen waren Affären inzwischen üblich. Aber vielleicht lag der Fall bei den Steinfelders anders. Immerhin betrog Gina einen behinderten Ehemann. Und wenn Gina bei Andy blieb, sich nicht scheiden ließ, wie es ein etwaiger Liebhaber von ihr fordern könnte, war dann die Eifersucht auf Andy der Motor, der den Kerl in mein Haus getrieben und an dem blödsinnigen Betonpfeiler hatte zerschellen lassen? Oder wollte Andy sich an Gina rächen? Indem er seiner Ghostwriterin die Geschichte einer Affäre in die Feder diktierte? Aber Kugler konnte nicht Ginas Papagallo sein. Schon aus ästhetischen Gründen. So gut kannte ich die elegante Frau Steinfelder.
Jemand klopfte an meine Scheibe. Ich fuhr zusammen. In der Dunkelheit erkannte ich das Gesicht nicht gleich, das mir fröhlich zulächelte. Ich öffnete die Tür und stieg aus.
»Mensch, Jenny, hast du mich erschreckt!«
Jenny Steinfelder grinste und hob zur Entschuldigung beide behandschuhten Hände.
»War keine Absicht, Frau Laverde!« Sie griff in ihre Manteltasche und zog eine winzige Digitalkamera hervor. »Schauen Sie mal! Meine Eltern haben mir Geld vorgestreckt, damit ich mir eine neue Digi leisten kann.«
»Schon vor Weihnachten?«
»War eine Ausnahme«, sagte Jenny. »Ein super duper Sonderangebot.«
»Lass mal sehen. Ich brauche auch eine neue. Meine wurde gestohlen.«
»Echt?«
»Ja. Dumm gelaufen.«
Jenny tippte auf mikroskopisch kleine Tasten.
»Ein geniales Teil! Man kann auch Sprechtexte aufnehmen und MP3 hören, filmen, Bilder übereinanderlegen …«
»… und einfach fotografieren?«
»Klar. Sie kennen sich mit Technik aus, oder?«
Sie spielte auf das Aufnahmegerät an, das ich manchmal benutzte, wenn ich mit Andy Interviews führte.
»Mein Talent hält sich in Grenzen.«
»Wollen Sie mal ein paar Fotos sehen?« Eifrig aktivierte Jenny das Display, das beinahe die ganze Rückseite der Kamera in Anspruch nahm. Sie klickte von Bild zu Bild. Die meisten schien sie erst vor Kurzem aufgenommen zu haben. Schneebedeckte Äste vor blauem Himmel, Nachtaufnahmen von Straßenlaternen mit Schneehauben.
»Nicht schlecht«, gab ich zu. »Wo hast du die gekauft?«
»Im Internet.«
Ich fragte mich, ob es in naher Zukunft noch Geschäfte geben würde, wo man mit den eigenen zehn Fingern die Waren anfassen konnte, bevor man sie bezahlte. Jenny klickte weiter. Ein Mercedes von hinten. Das Blitzlicht ließ das Nummernschild grell leuchten. Eine Münchner Nummer. Nächstes Foto. Ein Hauseingang. Nächstes Foto. Gina Steinfelder, die ein Parkhaus verließ. Klick. Ein Klingelschild neben einer Tür. Alfred-Schmidt-Straße 28. Mein Gedächtnis drückte auf Speichern.
»Suchst du eine Wohnung?«, fragte ich spaßeshalber.
Sie klickte ungerührt weiter und zeigte zwei Fotos von Andy in der Küche. Er rührte in einer Teigschüssel, wandte seiner Tochter das Gesicht zu und lachte verschmitzt.
»Schreibst du mir mal auf, wo du die Kamera bestellt hast?« Ich war ehrlich interessiert. Rasch kramte ich einen Zettel aus meiner Schultertasche. Während Jenny schrieb, rotierten meine Gedanken wie Propellerflügel. Wenn ich nicht gerade völlig ins Land der Fantasie abdriftete, hatte ich zwei interessante Neuigkeiten erfahren.
»Hier.« Jenny hielt mir Zettel und Stift hin. »Hoffentlich gilt das Sonderangebot noch.«
»Das werde ich rausfinden. Tschüss, Jenny, grüß deinen Vater.«
Sie winkte und ging die Straße hinunter auf die Steinfelder-Villa zu, während ich mit einem Seufzen hinter meinem Steuerrad zusammensank, bevor ich die Innenbeleuchtung anschaltete und mir den Stadtplan vorknöpfte.
20.
Valeska dreht und streckt sich vor dem Spiegel. Den hat sie sich geleistet, als sie eingezogen ist. Von Amberg nach München, das ist ein Wechsel! Sie ist immer noch stolz, reckt den Hals und betrachtet ihre Elfenbeinhaut. Sie pflegt sich sehr sorgfältig. Das meiste Geld geht für Kosmetika und für die Miete drauf. München ist teuer, und sie verdient im Klinikum rechts der Isar kaum mehr als daheim in Amberg. Trotzdem, sie hat diesen Job bekommen, und nun geht’s richtig los. Sie drückt die Brustwarzen vorsichtig zusammen. Das mit den Klammern hat weh getan. Sollte es auch. Valeska lacht und zeigt das Piercing auf dem Schneidezahn. Sie sieht nicht aus wie 22. Sie sieht jünger aus, und das verschafft ihr einen Vorteil, denn gewünscht wird immer: so jung wie
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