Schweigfeinstill
leistete.
»Verstehe ich. Darin sind wir uns einig.« Woncka nickte. »Besagen Ihre Ausführungen in der Konsequenz, dass künftig die Kinderpornografie das geringere Übel sein wird im Gegensatz zu den … Massakern, die sie uns beschrieben haben?«
Nero rieb sich die Hände. Es war kalt im Raum. Die Zuhörer, von denen einige bald seine Kollegen sein würden, beugten sich aus dem Fenster, die meisten rauchten. Kinderpornos würden nie ein kleines Übel sein. Er hatte im letzten halben Jahr Sachen gesehen, die ihn den Schlaf kosteten, und manchmal hasste er die Menschheit, hasste er die Gesellschaft, die den Hals nicht vollkriegte und für jeden zusätzlichen Euro zu Unvorstellbarem bereit war.
Die Mailingerstraße unter ihnen lag still da. Nero warf einen Blick auf die verschneiten Vorgärten der Häuser gegenüber. Nachher würde er zu Fuß in die Nordendstraße gehen. Durch den Schnee wandern. Es war nicht so weit, er würde sich Zeit lassen. Vielleicht könnte er in einem Café auf einen Glühwein einkehren, bevor er bei Tiziana in der italienischen Buchhandlung vorbeischaute. Und dann die Wohnung ausmessen.
»Es weist viel darauf hin, dass den großen Pornoringen die Kinder zu riskant werden. Wir brauchen nicht über unsere chronische Unterbesetzung zu reden«, sagte Nero. »Aber wir müssen auch Ressourcen für die anderen Pornos locker machen.«
»Dafür bekommen wir ja Sie, Keller«, sagte Woncka und klopfte Nero auf den Arm. Er war zu klein, um Neros Schulter zu tätscheln, dazu hätte er sich auf die Zehenspitzen stellen müssen, und das wäre eines Polizeioberrates unwürdig. »Natürlich, und auch darin werden wir übereinstimmen, müssen wir uns genau überlegen, was wir publik machen. Die Öffentlichkeit darf nicht den Eindruck gewinnen, als bekämen wir die Kinderpornos nicht in den Griff und würden uns deswegen mit Filmen beschäftigen, die volljährige Darsteller haben.« Woncka überlegte. »Man wird sagen, konzentriert euch auf die missbrauchten Kinder. Nicht auf die Leute, die es freiwillig tun.«
»Das ist es ja eben. ›Freiwillig‹ stimmt hier nicht ganz. Es kann nicht freiwillig sein, wenn eine Frau sich drei Tage an Ketten fesseln lässt, nackt, dabei alle paar Stunden vergewaltigt wird, mit kaltem Wasser übergossen wird, wenn man ihr Entsetzen für alle im Internet sichtbar macht.«
»Nein!« Woncka nickte bestätigend, aber seine Erwiderung klang nach Entsetzensschrei. »Sie sagten es ja. Diesen Frauen wird bei der Anwerbung nur die halbe Wahrheit präsentiert. Man lockt sie mit tüchtigen Summen, wenn sie bereit sind …«
»… an ihre Grenzen zu gehen.«
»Auf solchen esoterischen Humbug fallen die jungen Leute zuhauf herein!«, erregte sich Woncka. »Frauen zumal.«
»Ich befasse mich hauptsächlich mit der technischen Seite«, erinnerte Nero den Polizeioberrat. »Über Intentionen, Absichten, psychologische und juristische Hintergründe kann ich nur grob spekulieren.«
Neros Referat umfasste eine Reihe von informationstechnologischen Details. Es ging um die Möglichkeit, Spuren im Internet, wie sie beispielsweise Nutzer illegaler Pornoseiten hinterließen, zweifelsfrei und schnell nachvollziehbar zu machen. Die Kommunikation im Internet brauchte minimalistisch gedacht einen Sender und einen Empfänger. Beide musste man auffinden und identifizieren. Sie hinterließen Spuren. Logischerweise bemühten sich die Nutzer, diese Spuren effektiv zu verwischen. Neros Kunst bestand darin, den Nutzern so dicht wie möglich auf den Fersen zu bleiben, um an die wirklich großen Haie heranzukommen.
In den schlimmsten Fällen stießen die Ermittler auf das Problem des Offshore-Serverhousing. Die Betreiber von Kinderpornoseiten setzten ihre Programme auf Bohrinseln in internationalen Gewässern. Beispielsweise verrichteten Server, Proxies, Anon-Dienste und alle möglichen anderen informationellen Handlanger ihre Dienste circa 25 Meilen vor der britischen Küste. Da die Rechtssprechung des physikalischen Standortes galt, liefen die Betreiber, deren Programme Rechnern auf der Hochsee anvertraut waren, nicht Gefahr, angeklagt zu werden. Dagegen konnten Betreiber in den meisten Ländern der Welt strafrechtlich verfolgt werden. Auf hoher See jedoch war rechtsfreier Raum. Pornos blieben so lange online, wie die Gebühren für den Server bezahlt wurden. Es gab tonnenweise solche Rechner.
Die Spuren zu den involvierten Geldinstituten abzugrasen, war eine weitere Aufgabe, die die Ermittler
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