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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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leierte meine Geheimnisse aus mir heraus! Du hast ihn selbst zum Essen eingeladen, Kea. Gib’s nur zu, du wolltest nicht allein sein nach dem Schockvideo auf deinem Handy. Ach, zum Henker mit alldem. Hatte ich nicht schon ab und zu darüber spekuliert, wie Carlo gerade hier gelandet war? Warum arbeitete er nicht in den angesagtesten Kneipen von München, wenn er schon so auf Bayern stand, wie er oft behauptete?
    »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf«, sagte Keller und tupfte seinen Mund genau so ab, wie ich es mir vorgestellt hatte. »Karl Schöll zog vor zwei Jahren von Hamburg hierher, nachdem er wegen Vergewaltigung angezeigt und vor Gericht gezerrt worden war. Aber es fehlten die Beweise, also wurde er freigesprochen. Daraufhin schien ihm ein Ortswechsel angebracht.«
    »Carlo?« Ich stöhnte auf. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Carlo ist sanft wie ein Lamm. Außerdem ist er schwul.« Das klang albern, und ich sah Neros Gesicht an, dass er mich für naiv hielt.
    »Kein Kommentar. Er bekam auch mal eine Strafe wegen Betrugs. Vor gut drei Jahren.«
    »Und? Was soll ich jetzt sagen?«
    »Sie vertrauen ihm?«
    »Blind.« Warum vertraute ich Carlo? Ich spürte, wie ich genau in diesem Moment begann, mein Vertrauen aufzugeben. Würmer kamen gekrochen und fingen an zu nagen. Was tat Keller mit mir? Verdammt, Carlo gehörte zu der kleinen Familie, in die ich mich hier bettete. Klar, es gab Janne, es gab meine Mutter, aber Janne lebte in Ingolstadt und meine Mutter im Saarland. Und überhaupt hatte ich mit ihr eine Menge Probleme, zu viele, um aktuell darüber nachzudenken. Ich brauchte hier Leute, an die ich mich Tag und Nacht wenden konnte, und da gab es nur Carlo und Juliane.
    Keller hatte mich scharf beobachtet. Das Gefühl, dass er in meinen Gedanken las, machte mich fuchtig. Noch schlimmer, er erforschte meine Abgründe, ließ sich in die schmalsten Gletscherspalten hinab und leuchtete sie aus, bis das Eis zu schmelzen begann. Scheusal, kriminalpolizeiliches!
    »Zwei heimatlose Menschen, die auf der Flucht sind«, sagte Keller und schob seinen leeren Teller weg. »Vor ihrer eigenen Vergangenheit. Schöll vor Anfeindungen und Vorwürfen, seien sie gerechtfertigt oder nicht. Laverde vor … der Angst?« Er sah mich an. Diese Augen! Im gedimmten Licht der Küche kamen sie mir wie glühende Sonnen vor. In mir brannte das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen. Nero zog eine Schachtel Pueblo hervor und hielt sie mir hin.
    »Es war ein zweiter Mann im Piranha, am Samstagabend«, sagte Keller, während er mir Feuer gab. »Schöll kann es bezeugen. Die beiden Herren hatten nichts anderes zu tun, als Sie zu beobachten.«
    »Carlo hat das mitgekriegt?«
    Keller nickte, und ich glaubte ihm. Die Würmer fraßen.

35.
    23. Juli 2005, 5:35
    Betäubung. Sie tat gut. Kea spürte nichts mehr. Nicht den Schmerz, der ihren Körper in Höhe ihrer Hüften in zwei Teile zerrissen hatte. Nicht die Panik, nicht den evolutionären Drang, um Hilfe zu schreien. Sie war verstummt und starrte auf blasse Wände. Auf Eintönigkeit. Hinaus in eine Leere, in der Fragen lauerten. Wo bin ich. Was ist mit mir. Werde ich sterben. Welcher Tag ist heute. Warum tut niemand etwas. Bin ich verletzt.
    Ihre Ohren öffneten die Tore einen Spaltbreit. Stimmen summten um sie her, und viele andere Geräusche forderten Einlass, von denen sie nichts mitbekommen wollte. Eine Stimme war genug. Wie schaffte man es nur, in all dem Chaos das Wichtige herauszuhören? Wie hatte sie das sonst bewerkstelligt? Der Gedanke kam, und sie bewunderte ihn, denn er bedeutete, dass ihr Kopf lebte und arbeitete und tat, was er immer getan hatte. Denken.
    »Sie werden dich operieren. Es dauert nicht mehr lange. Halte durch.«
    Diese Stimme war ihr vertraut. Aber es gab keine Verbindung zu irgendetwas, das sie benennen könnte. Sie hörte die Stimme, aber sah nicht das dazu passende Gesicht. Doch, sie war sicher, zu jeder Stimme gab es ein Gesicht.
    Kea ruckte den Kopf, um zu sehen, wer mit ihr sprach. Eine Stange mit einem Beutel voll dunkler Flüssigkeit ragte über ihr auf. Mit verblüffender Klarheit wusste sie, dass man ihr eine Bluttransfusion gab. Dabei hatte sie selbst keine Ahnung, welche Blutgruppe sie hatte. Wie konnten die das wissen? Und wer waren die? Wer hatte den Plastikbeutel an Schlauch und Kanülen befestigt? Eine Klinik. Sie war in einer Klinik. Wieder ein Einfall zum Bewundern. Zum Anbeten, geradezu. Dann machte der Kopf Pause. Sie hörte die Stimme neben sich

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