Schweigfeinstill
beträgt acht Monate.«
»Dass Schriftstücke ins Bild kommen?«
Sigrun West schob Teller und Tasse von sich. »Nein. Nur: Das weltweite Netz vergisst nichts. Wir sind die Spinnen, die im toten Winkel warten. Wir warten, dass Fehler passieren. Möchten Sie den Film sehen?« Sie holte einen iPod aus der Tasche. »Kleiner als ein Taschenrechner und vergnüglich wie ein Schmuddelkino.«
Nero nahm den Player in die Hand. Eine junge Frau, wenn es hoch kam gerade 18, strippte für die Kamera. Sie streifte sich die Bluse über den Kopf, als aus der Brusttasche eine blaue MVV-Streifenkarte rutschte. Sie trudelte zu Boden und außer Sicht des Betrachters.
»Siebter November«, kommentierte Sigrun. »Die Frau hat zwei Streifen abgestempelt, ist um kurz nach 18 Uhr in der Giselastraße in die U-Bahn gestiegen.« Sie klickte einen anderen Film an. »Hier, schauen Sie sich das an!«
Neros Nacken wurde hart wie Eisen. Zwei Kerle in schwarzen Sachen und mit vermummten Gesichtern tauchten auf, hängten einem gefesselten Mädchen ein Schild mit der Aufschrift ›fuck me‹ um. Stumm verfolgte er die Vergewaltigung.
»Sehen Sie sich die Echtzeituhr an«, erinnerte Sigrun West.
»Sie vergewaltigen sie seit 17 Stunden«, murmelte Nero. Er sah auf, suchte Sigrun Wests Blick, blieb an dem Ingrimm hängen, der ihre Lippen, ihre Augen schmal machte.
»Wir haben nicht mehr«, sagte sie. »Nur ein paar Namen.«
»Ist ein Johannes Lehr dabei?«
Sigrun sah ihn an. »Manchmal rutscht einem einfach so etwas raus, nicht wahr?«
Nero blickte sich in dem Café um. »Wir haben nie miteinander gesprochen.«
»Genau«, sagte Sigrun West, schlängelte sich von ihrem Sitz und ging zur Theke. Er entschied sich dafür, dass ihre Antwort ›ja‹ lautete. Der Name Lehr war ihr ein Begriff. Als sie mit zwei Espressi zurückkam, fragte er: »Kea Laverde. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Sie schob ihm eine Tasse hin.
»Nein. Nie gehört.«
»Bertram Kugler?«
»Nein.« Sie streute Zucker in ihren Espresso und rührte stürmisch. »Ich kann nicht schlafen«, sagte sie. »Weil ich nicht verstehe, warum Frauen freiwillig mitmachen. Ich weiß«, sie schwenkte den Löffel und besprenkelte die Tischplatte mit Kaffeetröpfchen, »Sie behaupten, es ist nicht wirklich freiwillig, weil den Mädels etwas vorgegaukelt wird, was so nicht stimmt. Aber …«
»Warten Sie. Lehr – in welchem Zusammenhang ist der Name aufgetaucht?«
»Warum fragen Sie mich nicht in ein paar Wochen? Sie haben Urlaub.«
»Masochistische Neigung meinerseits.«
Sigrun West grinste.
»Er trifft seit einigen Monaten immer wieder einen Kontaktmann. Wir haben einen Kollegen dran. Der Kontaktmann, Deckname Mister, scheint Lehr mit einem größeren Ring in Verbindung zu bringen.«
»Wollte Lehr in ein Geschäft einsteigen?«
»Warum ›wollte‹?«
»Weil Johannes Lehr«, Nero sah auf die Uhr, »heute Vormittag ermordet wurde.«
Sigrun West sah durch Nero hindurch. »Woher wissen Sie das?«
»Von einem Kollegen in der Ettstraße. Das LKA hat vor ein paar Stunden die Ermittlungen an sich gezogen. Wurden Sie nicht informiert?«
»Sie merken doch, ich gehöre zum Fußvolk.« Sigrun zupfte an ihren Ohrhängern.
Nero fand die Geheimniskrämerei idiotisch. Missgunst konnte die Polizeiarbeit zum Erliegen bringen. Ihm wollte nicht in den Kopf, warum selbst innerhalb von Abteilungen nicht unverzüglich alle Informationen auf den Tisch gelegt wurden. Sigrun konnte Ärger bekommen, wenn sie ihre Schätze mit ihm teilte, denn sie waren offiziell noch keine Kollegen. Erst im neuen Jahr.
»Es sieht so aus, als wollte der Ring mit Lehr Kontakt aufnehmen. Mister trat an Lehr heran, nicht umgekehrt«, sagte Sigrun.
»Welcher Ring ist das?«
»Kein ganz kleiner.«
»Bitte, Frau West.«
Sie beugte sich vor. »Warum bin ich so blöd, Ihnen zu vertrauen?«
»Weil Sie Menschenkenntnis haben.«
»Wenn Lehr umgebracht wurde, wird mir klar, warum wir den Fall kriegen«, sagte sie. »Aber ich bin nur eine kleine Ermittlerin, die vor dem Bildschirm immer kurzsichtiger wird. Verraten Sie mir, was Sie haben?«
»Noch ein Name«, insistierte Nero. »Andy Steinfelder?«
»Steinfelder, Steinfelder … der Name sagt mir was. Aber … nein, kein Andy Steinfelder.«
»Karl Schöll?«
»Nein. Warum interessiert Sie das so? Sagen Sie nichts. Irgendwas Privates ist dazwischengeraten!«
Er fühlte sich ertappt, bemühte sich, nichts zu zeigen und spielte an dem iPod herum.
»Sie sollten sich das nicht
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