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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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übelnehmen«, sagte Sigrun. »Der größte Fehler ist es, sich selbst Dinge übelzunehmen. Führt zu nichts. Lösen Sie Ihre Probleme positiv.«
    Sie nahm ihm den iPod ab, nickte ihm zu und ging.
    Dieses Geschäft kann niemand länger als ein paar Jahre aushalten, dachte Nero, und sein Magen glühte heiß. Er hatte sich entschieden. Er hatte viel gesehen, aber er hatte es in seiner Freizeit gemacht. Seine private Fortbildung in Internetkriminalität hatte er als Hobby betrieben, er wurde zu gut, man richtete die Aufmerksamkeit auf ihn, und nun saß er kurz vor Mitternacht in einem miesen Café und fragte sich, wohin ihn seine eigene Courage geführt hatte.

48.
    25. Juli 2005, 8:17
    Sie dachte, es sei Mario. Der Name war aus den Wolken in ihrem Kopf geglitten wie der Fliegende Holländer. Da sprach jemand mit ihr, aber er sprach zu leise, und sie drehte den Kopf hin und her, um der Stimme näher zu kommen. Es funktionierte nicht. Are you awake, Mrs. Laverde?
    Ach, lasst mich in Ruhe. Leave me alone.
    Your husband is here, Mrs. Laverde.
    Wer? Mario?
    Kea hörte ihren eigenen Seufzer. Erleichtert und ängstlich.
    What happened to me?
    Ein Schwall Erklärungen sickerte durch ihren Kopf, ohne eine Spur Verständnis zu hinterlassen.
    »Sie haben dich operiert, Kea!«
    Das hatte sie bemerkt. Da waren eigentümliche Träume herangekrochen, schuppig wie Leguane. Schmerzen gab es keine mehr. Nur eine Gleichgültigkeit, die sogar den Wunsch vereitelte, aufzustehen und aus dem Fenster zu schauen. Rollos hielten die gleißende Sonne fern. Ihr war kalt.
    »Du hast einen glatten Durchschuss durch den rechten Oberschenkel. Und ein Splitter ist durch deine Hüfte gerast. Sie haben dir eine neue Hüfte gemacht. Alles ist gut gegangen. Du hast sehr viel Blut verloren. Sie mussten eine Arterie zusammennähen, sie ist zerplatzt wie ein morscher Gartenschlauch.«
    »Thank you«, sagte sie.
    They made you a new hip. Everything is fine, Mrs. Laverde.
    Hatte sie diese Sätze nicht ohne Unterlass gehört, wenn freundliche Gesichter sich besorgt über sie beugten und auf sie einsprachen? Wie oft war das gewesen? Vielleicht zweimal, dreimal, oder zwanzigmal, seit sie hier lag, in diesem unglaublich hellen Zimmer? Es musste nach Süden gehen.
    Das leise Säuseln, das sie so irritierte, woher kam es?
    It’s a jinn, Mrs. Laverde, they are coming through the water pipes.
    A what?
    »Kea? Erkennst du mich, Kea? Ich bin es, Mario.«
    Danke, Mario. Sie erkannte ihn. Seine Haare vor allem anderen. Wenn sie nicht so müde gewesen wäre, hätte sie die Hand ausgestreckt, um die braunen Locken zu berühren.

     

Freitag

49.
    Ein Geräusch wie von Carlos Eiscruncher weckte mich. Unwillig wälzte ich mich auf die Seite. Noch immer hatte ich nicht richtig verdaut, was ich von Keller erfahren hatte: Der Tote war Johannes Lehr. Der Mann mit dem Apartment, Ginas Geliebter. Davon hatte ich Keller allerdings noch nichts erzählt. Ich würde es nachholen müssen.
    Träume hatten mich bis in den Morgen immer wieder aus dem Schlaf gerissen. Nun warf eine grelle Sonne ihre Strahlen auf mein desolates Selbst. Ich stieß die Decke weg, stand auf und zog den Vorhang ganz beiseite. Unter einem unwirklichen Lapislazulihimmel glänzte der frische Schnee blendend weiß. Auf der Straße neben dem Park schabten Schneeschaufeln über den Asphalt.
    Seufzend sank ich auf das Bett zurück, um meine Gedanken zu sortieren und mir die vergangenen 24 Stunden in Erinnerung zu rufen. Mein Gespräch mit Andy und sein dramatischer Abgang. Valeskas Wohnung. Die Pornos. Das Internetcafé und der Turbanmann hinter der Theke. Müller und der Schneesturm. Martina Hildebrands allradbetriebenes Auto. Rosenheim. Das Hotel. Andy, der einen Ermordeten fand. So viel also zu dem, was der westliche Mensch ›Entscheidungsfreiheit‹ nannte.
    Meine Reisen in den Osten hatten mir beigebracht, dass es keine freie Wahl gab. Entscheidungsfreiheit war eine Illusion, und der vergangene Tag hatte es mir deutlicher vor Augen geführt, als ich es selbst in irgendeinem Buch hätte schreiben können. Nichts existierte in und für sich selbst. Alles, was uns widerfuhr, was wir initiierten und ausführten, geschah als Folge anderer Dinge. Ereignisse und Zustände kamen zusammen und fielen auseinander, ohne dass irgendjemand in dieses Getriebe eingreifen konnte. Ich hatte einen Auftrag angenommen, weil Ghostwriting mein Beruf war. Ich hatte diesen Beruf nicht wirklich freiwillig ergriffen. Vor Jahren hatte ich

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