Schwein gehabt
einreichen würde, zum anderen standen Disziplinarverfahren und Rudolphs Klage bevor. Auch wenn die Hauptzeugin der Anklage zum Gerichtstermin bereits Würmerfutter war, würde genug schmutzige Wäsche gewaschen werden, um Zollner vom Studienrat zum Sozialhilfeempfänger zu degradieren.
Doch was nützte mir das? Zollner-Knittel hatte sich zwar nicht verdächtig gemacht, war aber offenbar auch nicht im Besitz eines Alibis. Als einziges denkbares Tatmotiv kam Eifersucht in Betracht. Andererseits hatte auch sie manchen Seitensprung vorzuweisen, wenn Zollners Vermutung der Wahrheit entsprach.
Mir fiel auf, dass sich meine Gedanken auf der Stelle bewegten. Hoffentlich erwies sich Kofler als Hilfe.
Die Droste-Hülshoff-Straße gehörte zu den Neubaugebieten, in denen ein Haus dem anderen glich. Koflers Bungalow bildete keine Ausnahme. Ein gefliester Weg führte durch einen englischen Rasen zur schmiedeeisernen Haustür. Ein kleines Mädchen mit einem Plastik-Donald-Duck in der Hand öffnete. Sie starrte mich verängstigt an und fragte sich wahrscheinlich, ob ich einer der bösen Bonbononkels war, vor denen ihre Mutter sie dauernd warnte.
»Ist dein Bruder zu Hause, kleine Prinzessin ?«
Sie lief ins Haus zurück. Ich folgte.
Koflers Eltern zahlten offenbar Jahresbeiträge an den Verein ländlicher Bildungsbürger. Hochformatige Gemälde von Picasso, Dali und Ernst zierten die Wände der Flure. Hier dienten sie nicht wie ihre Pendants im Louvre als Fotoobjekte japanischer Touristen, sondern als Kontrast zu der geblümten Tapete. Die Maler hätten sich wahrscheinlich im Grabe umgedreht.
Das Mädchen stand vor einem Zimmer, aus dem undefinierbarer Lärm drang. Sie klopfte zweimal und verdünnisierte sich.
»Sagte ich nicht, dass ich nicht gestört werden will? Könnt ihr reaktionären Scheißer nicht ein Mal meine Wünsche akzeptieren ?«
Eine keifende Stimme schaffte es, die Musik zu übertönen. Ich fragte mich, warum man mich als reaktionären Scheißer bezeichnete. Zuletzt hatte dies ein Spenden sammelnder Trotzkist gewagt, der sich nach unserer Diskussion dem Machiavellismus zuwandte.
Die Tür wurde aufgerissen.
»Oh, ich dachte, meine Mutter hätte geklopft. Wer sind Sie denn ?«
Als ich Kofler sah, musste ich mir auf die' Lippen beißen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Seine Frisur erinnerte an einen Haufen Vogelfedern, die ein Besoffener zusammengeklebt hatte. Kofler musste Hauptaktionär einer Haargelfirma sein, sonst hätte er sich seine Frisur nicht leisten können. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Sein T-Shirt trug die Aufschrift: »Ich war als Kind schon Scheiße !« Ich glaubte ihm.
»Ich heiße Nannen, bin Reporter einer großen Essener Tageszeitung und arbeite an einer Reportage über Schülerzeitungen auf dem Lande. Du bist doch Chefredakteur? Euer Blatt hat einen Ruf, der bis ins Ruhrgebiet vorgedrungen ist .«
Koflers Augen bekamen einen träumerischen Glanz. Wahrscheinlich sah er sich bereits in der Chefetage der WAZ.
»Man tut, was man kann, aber komm doch rein .«
Augenscheinlich bevorzugte Kofler philosophische Schriften neomarxistischer Prägung: Adorno, Markuse, Habermas und so weiter. Vorurteilsfrei, wie ich nun mal war, schätzte ich ihn als pseudointellektuellen Laberkopf ein, der zwar alles gelesen, aber kein Wort verstanden hatte. An den Wänden hingen Artikel der Schülerzeitung und selbst verfasste Gedichte.
Ich zeigte auf die Zeitungsausschnitte. »Darf ich mal einen Blick darauf werfen ?«
Kofler nickte erfreut. »Natürlich. Ich muss aber gleich anmerken, dass an unserer Schule keine Pressefreiheit herrscht. Wenn man etwas Revolutionäres schreibt, wird einem vorgehalten, dass wir eine Schülerzeitung und kein kommunistisches Propagandablatt machen .«
Ich suchte einen Text mit der Überschrift »Depravierung und Paralysierung in der postmodernen Gesellschaft« heraus und bekam augenblicklich Zweifel an meiner Schulbildung. Um die Hauptaussage wenigstens in Grundzügen verstehen zu können, hätte ich bei jedem zweiten Wort den Fremdwörterduden bemühen müssen. Auf jeden Fall schien der Artikel gegen »die Spießer« gerichtet zu sein, denn diese wurden in jedem Abschnitt auf das Heftigste attackiert.
»Brillant geschrieben, Jens. Schon mal daran gedacht, den Journalistenberuf zu ergreifen?«
Kofler grinste geschmeichelt. »Klar. Dafür mache ich überhaupt nur das Abi. Ohne Schein hast du ja heutzutage keine Chance. Das Establishment will auf einem Wisch
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