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Schweine zuechten in Nazareth

Titel: Schweine zuechten in Nazareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Sthers
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stark sind, wir seien schwach und machtlos gegenüber der Böswilligkeit der betrogenen Frau. Ja, die Palästinenser sind eine »betrogene Frau«.
    Und wenn die Familie dieser Frau aufhören würde, sie gegen ihren Ex-Mann aufzuhetzen und zu sagen, was für ein Schuft er sei, dann könnten nach und nach die guten Zeiten wieder an die Oberfläche kommen. Unverheiratet könnten die beiden einander Freunde sein.
    So, lieber Harry, ich höre nun mit meinen Rabbiner-Metaphern auf. Mein Sohn geht morgen in die Armee. Die Vorstellung, er könnte am anderen Ende seines Gewehrs eine menschliche Zielscheibe haben, verursacht mir Übelkeit.
    Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.
    Und zu der Frage, die Sie mir nicht gestellt haben, antworte ich Ihnen, dass es keine Schande ist, in seine Ex-Frau verliebt zu sein.
    Der Kreis schließt sich, nicht wahr?
    Moshe

Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Datum: 20. Juni 2009
    Betreff: Jugend
    Liebe Annabelle,
    im Namen der kleinen grünen Männchen, bist du auf Tranxene, Prozac oder sonstigen Drogen? Jérémie Lucas?! Hat heute bestimmt einen schlaffen Hintern und drei Blagen an der Backe.
    Zu der Platte: no comment . Das erste Geknutsche hat immer etwas Peinliches an sich. Es war aber weder der Kuss an sich noch das Mädchen. Es war danach, meine Tanzeinlage zu diesem Lied. Unglaublich, dass keiner (nicht einmal ich) begriffen hatte, dass ich schwul war!
    Ja, ich bin glücklich, manchmal. Nicht sehr. Ich bin Schriftsteller, alles andere wäre kontraproduktiv, und deine Musik hat mich berührt. Hör auf zu studieren. Komponiere. Habe Sex. Lebe.
    Durch deine ständigen Bemühungen, deine Kindheit zu verlängern, wirst du sterben, ohne je Frau gewesen zu sein. Trau dich und spring in das große Becken. Das Wasser ist kalt, ich behaupte nicht das Gegenteil, aber man gewöhnt sich dran und manchmal hat man sogar richtig Spaß.
    Dein Bruder David,
    der immer noch reichlich Wodka trinkt

Harry Rosenmerck an Monique Duchêne
    Nazareth, 20.  Juni 2009
    Liebe Monique,
    es ist seltsam, ich habe den Eindruck, erst jetzt allmählich zu verstehen, wer du bist. Jahre später. Oder häuten wir uns vielleicht, und deine alte Hülle ist in unserer Wohnung in der Rue de Vaugirard geblieben?
    Wenn man zwei Kinder zusammen hat, wenn man sich geliebt, dann gehasst hat, wenn man angewidert war, dann gleichgültig und schließlich angerührt, was ist man dann füreinander? Eine Familie? Ein Stück von uns, dessen man sich unterwegs entledigt hat, ein Stück verlorene Jugend vielleicht?
    Liebe verlorene Jugend,
    Trockne deine Tränen.
    Warum glaubst du, es sei deine Schuld? Wieso machst du dir Vorwürfe? David ist nicht das Opfer der Folgen unserer Taten. David ist David. Die Gründe, warum ich gegen ihn aufgebracht bin, haben sich tief in mein Innerstes gegraben. Ich glaube nicht, sie offenlegen zu können, ohne zusammenzubrechen. Liebe ihn, so wie er ist, und noch mehr, denn ich bin dazu nicht fähig.
    Wir sind nicht schuld und er ist nicht krank, er ist nur anders. Es sind die Auswirkungen dieses Andersseins, die mir als Vater die Luft abschnüren, nicht die Tatsache, anders zu sein.
    Du wirst da sein. Du wirst immer da sein. Du bist eine Nervensäge. Der Tod wird schön die Finger von dir lassen.
    Harry

Annabelle Rosenmerck an David Rosenmerck
    Nazareth, 26. Juni 2009
    Lieber David,
    ja, es ist wahr, die Kindheit klebt an mir wie Pech.
    Und ein richtiger, erwachsener Liebeskummer, der mich nicht loslässt. Aber vielleicht ist es auch nur mein scheußlich verletzter Stolz. Könnte auch Ärger sein. Eines Tages werde ich mich entscheiden müssen, irgendwo Wurzeln zu schlagen. Einen Ort zu suchen, einen Beruf, ein Leben, einen Mann, der mich liebt.
    Papa und ich fahren nach Herzliya, Omas Grab besuchen. Eine Art »road trip«. Ich habe einen Picknickkorb eingepackt.
    Papa hat eine Menge sympathischer Mitarbeiter, die sich um die Schweine kümmern. Die meisten von ihnen sind Christen. Für Juden oder Moslems ist es schwierig, Schweine anzufassen …
    In Israel spricht man nie über die hier lebenden Christen, aber ihr Leben ist auch nicht besonders einfach.
    Jeder hat seine eigene Version der Geschichte. Es ist komisch und erschreckend zugleich. Wo hat man bloß die Wahrheit verkramt?
    Wann kommst du, mein lieber Bruder? Du fehlst mir …
    Ich

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