Schweineblut
Bahnhofs. Allerdings war das Gelände mit allerlei Gehölz
zugewuchert. Das war Jan Kuhnerts einzige Chance.
Er würde seinen Wagen unter der Buche stehen lassen und dann
querfeldein mit gehörigem Abstand der Durchgangsstraße bis zu der Lagerhalle
folgen. Er würde bestimmt eine Dreiviertelstunde brauchen.
Ihm fiel ein, dass er starkes Klebeband gekauft hatte. Das steckte
er ein. Nun musste er nur noch warten.
Die Dunkelheit kam schnell. Es war noch nicht einmal 17 Uhr und um ihn herum schon
fast schwarze Nacht. Bis auf die hellen Scheinwerfer des Braunkohlenbaggers,
dessen Schaufelrad sich keine 500 Meter weiter unablässig drehend durch das Otzenrather Erdreich fraß. Aber die
Lichter beleuchteten nur den unmittelbaren Arbeitsbereich des Baggers.
Zunächst kam Kuhnert gut voran. Allerdings hatte er die Kälte
unterschätzt. Er spürte schon bald seine Oberschenkel nicht mehr, und seine
Hände wurden kalt, obwohl er sie tief in seine Jackentaschen geschoben hatte.
In einer Gesäßtasche steckte eine Stabtaschenlampe. Für den Notfall.
Der Leiter des KK 14
duckte sich mit einer schnellen Bewegung hinter einen niedrigen Reisighügel.
Kaum 100 Meter von ihm
entfernt fuhr ein Auto mit aufgeblendeten Scheinwerfern langsam die Straße
entlang. Die Vorsichtsmaßnahme war unnötig, denn Kuhnert war nicht mehr als
einer der unzähligen nicht einzuordnenden Schatten, die bei der Fahrt durch das
tote Dorf plötzlich vor den Scheinwerfern auftauchten.
Das Auto verschwand in Richtung Immerath. Kuhnert verharrte noch
eine Weile in seiner geduckten Haltung.
Auf seinem Weg zum alten Bahnhofsgelände stieß er immer wieder auf
Reste der früheren Bebauung. Er war schon fast in Sichtweite seines Ziels, als
er sich beim Sprung über einen sich plötzlich vor ihm auftuenden, nur
nachlässig zugeschütteten Kellerabgang an einem flachen Eisenstück am
Schienbein verletzte. Der Schmerz brannte wie glühender Stahl. Schwitzend und
schwer atmend blieb Jan Kuhnert stehen. Vorsichtig fühlte er über sein Hosenbein.
Seine Finger berührten eine feuchte, warme Stelle, die schnell größer wurde. Er
spürte, dass das Blut langsam an seinem Bein entlang und in seinen Schuh lief.
Jan Kuhnert setzte sich auf den gefrorenen Boden und streckte das
rechte Bein aus. Er biss die Zähne zusammen und schob vorsichtig das Hosenbein
hoch. Die tiefe Schürfwunde brannte höllisch.
Er fingerte in seinen Taschen nach einem Taschentuch. Vorsichtig
faltete er es auf und legte es über die Wunde. Sofort sog es sich voll Blut.
Nach und nach legte er drei Taschentücher auf und ließ sie auf der Wunde
liegen. Im Schein der mehrfach kurz aufleuchtenden Taschenlampe sah er, wie der
rote Kreis größer wurde. Dann zog er sein Hemd aus dem Hosenbund und versuchte
vergeblich, vom unteren Ende ein Stück abzureißen.
Für einen Augenblick hielt er inne. Ihm fiel das Klebeband ein. Er
zog die Rolle aus seiner Jacke und riss ein Stück ab, das er um die
Taschentücher und den Unterschenkel wickelte. Der Schmerz war noch da, aber
wenigstens war die Wunde verbunden. Langsam schob er das Hosenbein zurück.
Ihm war übel. Vorsichtig schlug er einen Bogen um die großen Löcher,
die einmal das Kellergeschoss des Bahnhofs gewesen sein mussten. Kuhnert
erinnerte sich daran, dass er als Kind hier am Bahnhof gestanden und den Zügen
hinterhergesehen hatte.
Nicht mehr lange, und auch die Halle, die ihm nun Schutz bieten
sollte, und das Versteck des Niederländers würden verschwunden sein. Jan
Kuhnert zog sein Tabakpäckchen aus der Jackentasche. Er würde nur noch hier
eine Zigarette rauchen können, im Schutz des kleinen Wäldchens.
In ihm wuchs eine Anspannung, wie er sie schon lange nicht mehr
gespürt hatte. Angst? Hatte er nicht. Höchstens ein bisschen vielleicht. Aber
er hatte eine Entscheidung getroffen, und die galt es nun Stück für Stück abzuarbeiten.
Jan Kuhnert hatte keinen Plan. Er wusste nur, dass er hineingehen
und nach Viola suchen würde. Und dass er van Bommel und auch die anderen
festnehmen würde. Er wollte niemanden töten, aber er würde auch nicht zögern zu
schießen.
Jan Kuhnert lag jetzt dicht an der Außenfassade der Lagerhalle.
Neben sich fühlte er das glatte Eis einer zugefrorenen Pfütze. Von seinem Platz
aus konnte er den Eingang zum Landproduktehandel gut überblicken.
Zwei Straßenlampen gaben ihm Licht. An oder in den Gebäuden selbst
brannte kein Licht. Das schwere Tor war mit dünnem Raureif überzogen. Bis zum
ersten
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