Schweinehunde / Roman
Locken, und sie riss sie entzwei und schleuderte sie zu Boden. Ganze Haarbüschel folgten.
Der Apfel hatte ihren Blutzuckerspiegel steigen lassen, so dass sie wieder klar denken konnte, überraschend klar. Plötzlich erkannte sie ihr eigentliches Problem. Freitag hatte die Comtesse sie zur Einigkeit genötigt, und sie hatte sich brav unterworfen und sich dominieren lassen, weil sie ihre Kollegin um ihre Begabung beneidete, und – das ließ sich nicht verleugnen – um ihr schmuckes Sommerhäuschen. Die Gedanken überstürzten sich, und sie stahl sich etwas Zeit: »Warte einen Augenblick, mein Akku ist fast leer, ich hole das Ladegerät.«
Mit Kollegen war es wie mit Ehepartnern – wurde die Uneinigkeit zu groß, musste man sich trennen und sich einen anderen Bettgenossen suchen. Es war eine Tatsache, dass sie die Morde akzeptierte, die Comtesse aber nicht. Inzestkinder hassten ihre Eltern, und das Volk verfolgte Pädophile, natürlich, so musste das wohl sein. Da hatte sie sich den ganzen Sonntag für die Gerechtigkeit abgerackert, und Gott im Himmel dankte ihr das mit einem vergewaltigten Kind. Sie glaubte nicht mehr an Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Dieser Glauben hatte sich in dem verlorenen Blick eines fünfjährigen Kindes in nichts aufgelöst und einer anderen, ursprünglicheren Wahrheit Platz gemacht. Dem Recht des einfachen Mannes, der Meinung des Volkes, dem guten, altmodischen Rachegedanken.
Dann war sie so weit. Erst hörte sie zu: Die Comtesse wollte in einer Stunde zurück sein, die Sache hatte sich in die Länge gezogen – und dann antwortete sie, ohne zu zögern: »Tja, ich glaube, dann gehe ich ins Bett. Wir sehen uns morgen. Dieser Typ beim Handball war übrigens bloß ein Aufschneider, der wusste nichts.«
Sie legten auf. Sie lächelte grimmig und schämte sich plötzlich ihrer Nacktheit.
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47
D ie zwei Männer gingen über das Feld, das durch den Herbstregen matschig und eigentlich unpassierbar geworden war. Der Lehm klebte an Stig Åge Thorsens Gummistiefeln, und Erik Mørks Schuhe waren hinüber, auch seine Hose war bis zu den Knien nass. Aber das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Trotz des leichten Regens und des grauen Himmels hatte der Kopenhagener darauf bestanden, nach draußen in die Natur zu kommen. Der Bauer hatte sich ihm angeschlossen und seinem Freund die Wahl der Route überlassen.
»Wie war es eigentlich in Griechenland? Hattest du schöne Ferien?«
Stig Åge Thorsen schwieg.
»Am liebsten würde ich den Urlaub vergessen. Da war eine Frau, aber … ja, es ging einfach nicht. Erzähl mir lieber, wie die Kampagne läuft, das ist ein besseres Thema.«
Erik Mørk nickte, froh darüber, nichts über die Frau hören zu müssen.
»Wir haben wahnsinnig viel zu tun. Aus allen Winkeln des Landes kriegen wir Unterstützung, Anrufe, Faxe, Mails, SMS, manchmal kommen die Leute auch einfach vorbei. Es ist so viel passiert … aber das Beste ist, dass wir jetzt eine Datenbank über Pädophile haben. Ausgearbeitet auf Basis des Vorstrafenregisters und der Daten des Einwohnermeldeamts, und natürlich der Kundenliste, die
Kletterer
in Middelfart beschafft hat. Per Clausen scheint diese Arbeit schon vor langer Zeit begonnen zu haben, mit der Unterstützung eines Archivars. Sein Bericht heißt:
Rückfallgefährdete und kompulsive sexuelle Abweichler.
Das ist wirklich kein Allerweltsbericht, das kann ich dir sagen. Außerdem haben wir in Rekordzeit ein umfangreiches Netzwerk aufbauen können: Es gibt kaum ein Geschehnis in der Welt der Medien oder in Christiansborg, das ich nicht in Windeseile mitgeteilt bekomme.
Heute Abend habe ich eine Verabredung mit einem Fernsehproduzenten. Einem bekannten Dokumentarfilmer, aber ich habe versprochen, seinen Namen nicht zu nennen. Per Clausen hat ihn mit einem Mädchen zusammengebracht, das wirklich spitze sein muss. Sie gehört zu uns, und gemeinsam studieren die ein Interview ein.«
»Gut, gut, aber was denken die Normalbürger? Das interessiert mich viel mehr.«
»Also die Videos des
Dagbladet,
die seit heute früh im Netz sind, waren ein Riesenhit. Am meisten beeindruckt natürlich Thor Grans entlarvende Äußerung … du weißt doch, was ich meine?«
»Ja, klar. Erinnere mich nicht daran.«
»Nein, so geht es allen. Das ist wirklich ein ganz besonderer Moment, und ich sage dir, ich habe laut aufgejubelt, als ich das zum ersten Mal gesehen habe. Wie er das gesagt hat,
den kleinen Kerl mit der Nummer drei …
das hat sich in
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