Schweinehunde / Roman
hatte, was er über die Gemeinde und die Geschichte der Kirche hatte finden können. Warum sollte man seine freie Zeit nicht dafür nutzen?
Jetzt saß er windgeschützt in einem Buswartehäuschen, das zwar weitab vom Geschehen lag, aber einen guten Überblick bot. Dichter wagte er sich nicht heran. Neben ihm saß
Kletterer
. Er war wütend darüber, dass er nicht in die Kirche gehen durfte. Erik Mørk hatte ihn in das Wartehäuschen gezogen, nachdem er ihn per Zufall und zu seinem Entsetzen entdeckt hatte. Dabei durfte eigentlich keiner der beiden dem anderen Vorwürfe machen, hatten sie sich doch beide über Per Clausens Verbot hinweggesetzt, an seiner Beerdigung teilzunehmen.
Kletterer
ärgerte sich immer noch.
»Es ist schon seltsam, von jemandem Abschied zu nehmen, indem man einfach nur auf die Kirche starrt. Bist du dir sicher, dass die Polizei Fotografen dabeihat?«
»Ja, und die Zeitungen auch, und die sind nicht minder schlimm. Außerdem sollten wir überhaupt nicht hier sein. Niemand von uns und ganz sicher nicht wir beide. Aber es ist, wie es ist, näher kommen wir nicht heran. Alles andere wäre Wahnsinn.«
Widerstrebend musste
Kletterer
ihm recht geben.
»Ärgerlich ist das aber trotzdem.«
Er setzte sich wieder auf die Bank und fügte mürrisch hinzu: »Per wäre wütend, wenn er uns jetzt hier sehen könnte. Wir hätten uns das niemals getraut, wenn er noch am Leben gewesen wäre.«
Er klang wie ein unartiger Schuljunge, der stolz auf seinen eigenen Wagemut war. Erik Mørk war unzufrieden. Ihm wäre es lieber gewesen,
Kletterer
wäre weit, weit weg gewesen, am besten im Ausland. Er hatte seine Arbeit perfekt erledigt, doch jetzt war er nicht nur überflüssig, sondern eine tickende Zeitbombe.
»Du hast recht. Er hat nach seinem Tod deutlich an Einfluss verloren.«
»Warum sagst du das? Das ist doch klar.«
Erik Mørk bereute seine Worte und versuchte sich halbherzig an einer Erklärung. Er fühlte sich in
Kletterers
Gegenwart nicht wohl und wäre viel lieber allein gewesen. Der Zufall hatte sie zusammengebracht, was allerdings nicht hieß, dass sie auf gleicher Wellenlänge waren, ganz im Gegenteil. Trotzdem waren sie gezwungen zusammenzuarbeiten, jedenfalls noch für eine Weile. Ein Streit war also das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten.
Andererseits gab es etwas, das Erik Mørk jetzt, da sich ihm vollkommen unerwartet die Chance dazu bot, wissen musste, und nach ein bisschen Smalltalk fasste er sich ein Herz.
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass du dich nicht damit begnügt hast, ihnen die Hände abzutrennen und mit der Säge die Gesichter unkenntlich zu machen. Du sollst auch ihre Geschlechtsorgane verstümmelt haben. Stimmt das?«
»Ja.«
»Das war so nicht abgesprochen. Warum hast du das gemacht?«
»In der Situation erschien es mir richtig zu sein.«
Erik Mørk konnte sich nur mit Mühe zusammenreißen.
»Könntest du mir das bitte etwas genauer erklären?«
»Es waren doch nur ein paar kleine Schnitte!«
»Ein paar kleine Schnitte? Mit einer Motorsäge?«
»Ja.«
»Bei allen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Na ja, die Säge hat auf einmal die Führung übernommen. Als ich angefangen hatte, konnte ich irgendwie nicht mehr aufhören, außerdem wollte ich Frank an Ort und Stelle gerne zeigen, was ihm blüht, wenn er erst tot ist.«
Seine Worte entsprachen nicht ganz der Wahrheit. Die letzten Verstümmelungen waren nämlich erst erfolgt, nachdem er das Podium abgebaut und im Kleinbus verstaut hatte. Danach hatte er dann den Boden vom Plastik befreit und gesäubert.
Erik Mørk akzeptierte die Erklärung, ohne weiter nachzufragen. Etwa so hatte er sich das vorgestellt. Marketingmäßig war das natürlich höchst unglücklich – mit so etwas konnte man kaum Werbung machen –, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Er begnügte sich deshalb mit einem Nicken, trotzdem war für
Kletterer
das Thema noch nicht erledigt.
»Am liebsten hätte ich ihm bei lebendigem Leib seinen Unterleib zerfetzt.«
»So weit bist du dann aber doch nicht gegangen?«
»Nein, eigentlich seltsam.«
»Ich bin froh darüber.«
Mehr hatten sie nicht zu bereden.
Kletterer
fragte nicht nach der Kampagne, und Erik Mørk wollte keine weiteren Details über die Morde erfahren.
Langsam strömten die Menschen in die Kirche, einige allein, andere in kleinen Gruppen. Viele von ihnen waren jung. Einige gaben beim Bestatter Blumen ab, bevor sie die Kirche betraten, andere legten ihre Sträuße auf der
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