Schweinehunde / Roman
ist er frei?«
»Das kann dauern. Finanzen.«
»Hören Sie, meine Liebe, unterbrechen Sie ihn kurz und sagen Sie ihm, dass er um 18.00 Uhr einen Termin mit mir im Sitzungsraum Viggo hat, und dann suchen Sie den Direktor und diese neue juristische …«
»Die Chefjuristin«, fiel die Sekretärin ihr ins Wort.
»Genau, sorgen Sie dafür, dass die beiden auch kommen. Und dann brauchen wir noch einen Computer mit Lautsprecher und Intranet-Verbindung samt ein paar Sandwichs und natürlich Bier und Wasser.«
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da von mir verlangen? Und was soll ich als Thema dieser Sitzung angeben?«
»Nichts. Sorgen Sie einfach dafür, dass diese Leute da sind, egal, was sie sonst für Termine haben. Ich weiß, dass Sie das können, wenn Sie nur wollen.«
»Und warum sollte ich das wollen?«
»Glauben Sie mir, ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass ich Riesenprobleme kriege, wenn ich keinen wirklich guten Grund habe.«
Die Sekretärin blickte ernst über den Rand ihrer goldgerahmten Brille hinweg. Am liebsten war ihr, wenn alles nach Plan lief und vorhersehbar war, aber das war eigentlich nie der Fall. Trotzdem kämpfte sie Tag für Tag einen aussichtslosen Kampf, um wenigstens ein Minimum an Ordnung in den Alltag ihres Chefs zu bringen. Anni Staals absonderliche Bitte passte so ganz und gar nicht zu diesem Vorsatz.
»Riesenprobleme reicht nicht, Sie wissen, was Ihnen blüht, Anni.«
»Ja, das weiß ich. Bringen Sie diese Leute dazu zu kommen.«
Die Sekretärin nickte halbherzig. Dann fügte sie unfreundlich hinzu: »Ihr Essen müssen Sie sich aber selbst besorgen, ich bin doch kein Cateringservice. Und die Technik ist ohnehin schon da. Sagen Sie mal, lesen Sie denn die Memos nicht?«
Anni Staal zog sich mit einem breiten Lächeln zurück. Sie hatte nicht eine Sekunde damit gerechnet, dass sich die Sekretärin tatsächlich um das Equipment kümmern würde, aber komplizierte Wünsche wurden eher erfüllt, wenn das Gegenüber die Möglichkeit bekam abzulehnen.
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34
K onrad Simonsen saß in seinem Büro und versuchte, den Stapel Berichte durchzuarbeiten, der im Laufe der letzten Tage mit beunruhigender Geschwindigkeit in die Höhe geschossen war. Die Aufgabe war unmöglich, aber er versuchte es dennoch, so gut es ging, indem er das meiste nur überflog und dabei hoffte, dass die anderen einen besseren Blick für die Details hatten. Nach ein paar Stunden intensiver Arbeit tränten seine Augen, so dass er nicht weiterlesen konnte und sich alt fühlte. Er korrigierte die Stellung seiner Schreibtischlampe und las eine Weile sogar ohne Brille weiter, aber nichts davon half. Schließlich suchte er aus dem hintersten Winkel seiner Schreibtischschublade einen Stapel Servietten hervor, tupfte sich beim Lesen immer wieder die Tränen ab und verfluchte die Unfähigkeit seiner Kollegen, sich kurz zu fassen. Auf diese Weise gelang es ihm, sich durch weitere fünf Berichte zu pflügen. Gerade als er sich den sechsten gegriffen hatte, klopfte es an der Tür, und Arne Pedersen trat ein, noch ehe Simonsen aufgeblickt hatte.
»Hast du gerade viel zu tun, Konrad?«
»Ja, wie du siehst.«
Er ließ seine Hand vielsagend auf den Stapel Berichte fallen, wobei er sich bewusst für den falschen Stapel entschied, denn der Haufen der gelesenen Berichte war mittlerweile höher als der, den er noch nicht gelesen hatte. Arne Pedersen nickte teilnahmslos und fragte: »Warum weinst du?«
»Das sind meine Augen, die wollen nicht mehr so wie früher. Sag mal, können Servietten zu alt werden? Die saugen gar nichts mehr richtig auf.«
Er sammelte die benutzten Servietten ein, die zusammengeknüllt auf dem Schreibtisch lagen, und warf sie in den Papierkorb, während Arne Pedersen antwortete: »Wie man’s nimmt, ich glaube aber nicht, dass die ein Verfallsdatum haben, wenn du das meinst. Vielleicht brauchst du eine stärkere Brille. Geh doch mal zum Optiker.«
»Danke für den Tipp. Was willst du? Ist es wichtig?«
»Nein, nicht sonderlich. Ich habe etwas über diese Pädophilie-Mail. Ich sollte mich doch darum kümmern, aber ich kann dir meine Notiz auch schicken.«
»Nein, danke, bloß nicht noch mehr Papier. Setz dich lieber und erzähl, eine kleine Pause kommt mir im Grunde genommen ganz gelegen.«
Arne Pedersen setzte sich, während sein Chef aufstand, um sich die Beine zu vertreten. Einen Moment lang blieb er am Fenster stehen und sah nach draußen über die Stadt. Die Sonne ging unter, und es war
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