Schweinehunde / Roman
ein dickes, blaues Seil. Er war in hohem Maße aufgeregt, und obwohl er unzusammenhängend redete, konnte man seine Worte deutlich verstehen.
»Kein Kind darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr oder …«
Anni Staal drückte auf »Stopp« und teilte drei dünne Stapel Papiere aus. Auf der ersten Seite war das Porträt des Mannes zu erkennen.
»Er hieß Thor Gran und wohnte in Århus. Das Bild, das Sie in Händen halten, stammt von der Polizei. Ich habe es heute Nachmittag erhalten, und mein Informant hat mir den Namen des Mannes genannt. Die Fotografie ist nach seinem Tod gemacht worden, nachdem ein Team von Spezialärzten sein Gesicht rekonstruiert hat. Thor Gran ist einer der fünf Ermordeten aus der Langebæk-Schule in Bagsværd, und der Film ist ein Mitschnitt der Hinrichtung. Er zeigt auch drei der anderen Hingerichteten. Ich habe noch zwei weitere positive Übereinstimmungen, von denen Sie sich in Kürze selbst überzeugen können.«
Der Ausbruch des Chefredakteurs kam unartikuliert über seine Lippen, er spuckte fast. Es war schwer zu sagen, ob er wütend oder nur aufgeregt war.
»Sind Sie denn verrückt? Verdammt, das ist ja … ja …«
Der Direktor fiel ihm scharf ins Wort. »Seien Sie ruhig, und hören Sie zu, was sie uns zu sagen hat.«
Anni Staal fuhr fort: »Vermutlich haben wir das exklusiv. Ich habe mich vorsichtig bei ein paar Kollegen anderer Medien umgehört, aber niemand scheint dieses Material bekommen zu haben. Auch die Polizei nicht.«
Sie aktivierte den Film, und der Mann auf der Leinwand sprach weiter.
»… rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden …«
Die Perspektive auf Thor Grans Kopf änderte sich abrupt. An dieser Stelle war der Film geschnitten worden.
»Das Kind hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.«
»Was redet der da?«, fragte der Direktor.
Anni Staal hielt den Film an.
»Er liest einen Auszug aus der Kinderrechtskonvention der UN. Ich glaube, der Kameramann hält ihm ein Stück Papier hin, von dem der Mann abliest. Manchmal kommt es ins Bild, aber nicht in dieser Passage. Im Übrigen haben mich diese Informationen zwölftausend Kronen gekostet.«
Der Direktor zögerte keine Sekunde.
»Genehmigt, weiter.«
Sie gehorchte, und die klägliche Stimme erfüllte erneut den Raum.
»Das Kind hat rechtlichen Schutz gegen jede Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs, …«
Der Kiefer des Mannes zitterte, als würde er frieren, während Tränen über seine Wangen rannen. Dann erfolgte ein Schnitt.
»
… Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.
«
Ein lautes Klicken folgte, das Gesicht verschwand, und ein Bild mit einem blauen Seil tauchte auf. Die Kamera richtete sich nach unten. Thor Gran sah erstaunt aus. Er pendelte langsam vor und zurück, so dass das Bild nur jede zweite Sekunde scharf war. Anni Staal hielt den Film an und stellte das Zählwerk auf null.
»Ich möchte Ihnen noch drei weitere zeigen.«
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37
D ie Kneipe war ziemlich voll, die Stimmung beinahe konzentriert und die Luft verbraucht. Es floss reichlich Bier, aber trotzdem wirkte niemand betrunken oder fiel durch lautes Grölen auf. Die Qualmwolken unter der niedrigen Decke leuchteten wie dünne blaue Schlangen, wenn sie vom Licht des Scheinwerfers eingefangen wurden, der die Frau auf der Bühne in Szene setzte. Sie spielte Gitarre und sang dazu. Ihre tiefe, raue Stimme klang durch das Lokal und hatte etwas Mitreißendes, das das Publikum ergriff. Die meisten Gäste hörten zu, und sogar der Barkeeper hinter seinem Edelstahltresen zeigte Interesse. Sie sang
The Crying Game
aus dem gleichnamigen Film – ein tragischer Song, der gut zu ihrer Stimme passte und den sie mit viel Inbrunst und einer angemessenen Portion Schmerz interpretierte.
Pauline Berg rieb sich die Augen, der Rauch störte sie. Sie nippte an ihrem Bier und beobachtete die Comtesse, die neben ihr saß und die Sängerin betrachtete. Es war das erste Mal, dass sie beide gemeinsam einen größeren
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