Schweinsgalopp
Boden… Und was hängt an der Leine?«
»Das ist… Frauenkleidung«, sagte Susanne. Sie kramte in den Papieren, die auf einem winzigen, wackligen Tisch lagen.
»Sie sind recht knapp«, stellte der o Gott fest. »Und auch ziemlich dünn…«
»Die Erinnerungen, mit denen du erschienen bist…«, sagte Susanne, ohne aufzusehen. »Sie sind nicht sehr detailliert, oder?«
Er blickte über seine Schulter, als sie ein kleines rotes Notizbuch öffnete.
»Ich habe nur einige Male mit Violett gesprochen«, meinte Susanne. »Ich glaube, sie liefert die Zähne irgendwohin und bekommt einen Teil des Geldes. Es ist keine sehr gut bezahlte Arbeit. ›Verdiene viel Geld in deiner Freizeit‹, heißt es immer. Aber Violett meinte, sie könnte als Kellnerin mehr verdienen… Ah, hier sind wir vielleicht auf der richtigen Spur.«
»Was ist das?«
»Angeblich bekommt sie jede Woche eine Namensliste.«
»Meinst du die Namen der Kinder, die Zähne verlieren?«
»Ja«, bestätigte Susanne. »Und auch die Adressen.« Sie blätterte.
»Das klingt nicht sehr wahrscheinlich.«
»Entschuldige bitte, aber du bist der Gott des Katzenjammers, nicht wahr? Ah, hier ist auch Twylas Zahn aus der vergangenen Woche.« Susanne lächelte auf die saubere graue Schrift hinab. »Sie hat sich das Ding praktisch aus dem Mund gehämmert, weil sie den halben Dollar dringend brauchte.«
» Magst du Kinder?« fragte Gallig.
Susanne warf ihm einen kurzen Blick zu. »Nicht roh. Mit den Kindern anderer Leute ist soweit alles in Ordnung. Warte mal…«
Sie blätterte vor und zurück.
»Nur leere Seiten. Die letzten Tage sind nicht abgehakt. Keine Namen. Aber vor ein oder zwei Wochen… Hinter jedem Eintrag ist ein Häkchen, und unten steht jeweils die Gesamtsumme, siehst du? Und… Das kann doch wohl nicht richtig sein, oder?«
Die Seite der ersten nicht abgehakten Nacht in der vergangenen Woche zeigte nur fünf Namen. Die meisten Kinder wußten instinktiv, wann es der richtige Zeitpunkt war, das eigene Glück auf die Probe zu stellen. Nur besonders habgierige oder in zahnlicher Hinsicht sehr sorglose Jungen und Mädchen beanspruchten die Dienste der Zahnfee kurz vor dem Silvesterfest.
»Lies die Namen«, sagte Susanne.
»Willibald Wittel, genannt ›Willi‹ (zu Hause), ›Werfer‹ (Schule), 2. Stock hinten, Kickelburstraße 68;
Sophie Langbaum, genannt ›Papas Prinzessin‹, Schlafzimmer auf dem Dachboden, Nilpferd 5;
Prof. Hubert Bibberschnell, genannt ›Schwierigkeiten in Hosen‹ (zu Hause), ›Vierauge‹ (Schule), 1. Stock hinten, Skrote-Villa, Parkweg…«
Gallig unterbrach sich. »Das hier scheint mir ziemlich persönlicher Natur zu sein…«
»Es ist eine ganz neue Welt«, erwiderte Susanne. »Die interessante Stelle hast du noch nicht erreicht. Lies weiter.«
»Nuhakme Icta, genannt ›Kleines Juwel‹, Keller, ›Die lachende Feige‹, klatschistanische Imbißstube und rund um die Uhr geöffnetes Lebensmittelgeschäft, Inh. Heiß und Fettig;
Reginald Blütenweiß, genannt ›Banjo‹, ›der Parkweg-Schinder‹, ›Hast-du-diesen-Mann-gesehen‹, ›der Gänsetor-Würger‹, ›der Schlummerhügel-Lauerer‹, Zimmer 17, BVJM.
BVJM?«
»Bel-Shamharothanischer Verein Junger Männer«, sagte Susanne. »So nennt sich der für junge Männer reservierte Fanklub des Blut-und-Schleim-Gottes Bel-Shamharoth. Klingt das nach jemandem, der einen Besuch der Zahnfee erwartet?«
»Nein.«
»Das bezweifle ich ebenfalls. Es klingt eher nach jemandem, der mit einem Besuch der Stadtwache rechnen darf.«
Susanne blickte sich um. Es war tatsächlich ein mieses Zimmer, eine Unterkunft, in der niemand für längere Zeit bleiben wollte. Wenn man in einem solchen Zimmer mitten in der Nacht mit einer unruhigen Wanderung begann, hörte man das Knacken von Kakerlaken als Todesflamenco. Es war erstaunlich, wie viele Leute ihr Leben an Orten verbrachten, wo sie nie lange bleiben wollten.
Ein einfaches, schmales Bett, bröckelnder Putz, ein winziges Fenster…
Susanne öffnete es, tastete unter den Sims und nickte zufrieden, als ihre Finger eine Schnur berührten, an der ein Öltuchbeutel hing. Sie holte ihn herein.
»Was ist das?« fragte der o Gott, als sie den Beutel auf dem Tisch öffnete.
»Man findet sie recht oft«, sagte Susanne und entnahm dem Beutel einige in gebrauchtes Wachspapier gewickelte Dinge. »Man lebt allein. Mäuse und Schaben fressen alles auf. Es gibt keinen sicheren Platz für Nahrungsmittel. Doch draußen vor dem Fenster
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