Schweinsgalopp
Schultern. »Aber das war natürlich unmöglich. Wir hatten nicht einmal einen Pißpott und mußten aufs Brot spucken, damit es weich genug wurde, um essen zu können…«
ERKLÄR MIR BITTE, WARUM ES WICHTIG IST, EINEN PISSPOTT ZU HABEN.
»Es… es ist mehr eine Redewendung, Herr. Wer keinen Pißpott hat… Damit drückt man aus, daß jemand so arm ist wie eine Kirchenmaus.«
SIND KIRCHENMÄUSE ARM?
»Und ob.«
ABER DOCH NICHT ÄRMER ALS ANDERE MÄUSE, ODER? AUSSERDEM KÖNNEN KIRCHENMÄUSE KERZEN UND ANDERE DINGE ANKNABBERN.
»Auch dies ist eine Redewendung. Sie muß nicht unbedingt einen Sinn ergeben.«
OH. ICH VERSTEHE. BITTE FAHR FORT.
»Natürlich hängte ich am Vorabend des Silvesterfestes trotzdem die Socke auf, und weißt du, was ich am nächsten Morgen darin fand? Mein Vater hatte ein kleines Pferd hineingesteckt, von ihm selbst geschnitzt…«
AH, sagte Tod. UND DAS WAR VIEL MEHR WERT ALS ALLE TEUREN SPIELZEUGPFERDE AUF DER WELT.
Albert warf ihm einen scharfen Blick zu. »Nein, das war es nicht! Ich dachte immer nur an das große Pferd im Schaufenster.«
Tod wirkte überrascht.
ABER EIN VOM VATER SELBST GESCHNITZTES PFERD IST DOCH VIEL BESSER ALS…
»Nein«, widersprach Albert. »Nur Erwachsene denken so. Als Siebenjähriger ist man ein verdammter kleiner Egoist. Wie dem auch sei: Nach dem Essen kriegte mein Vater einen Wutanfall und trat auf das Ding.«
ESSEN?
»Na schön, wir hatten ein bißchen Bratenfett zum Brot…«
TROTZDEM. DER SINN DES SILVESTERFESTES…
Albert seufzte. »Wie du meinst, Herr. Wie du meinst.«
Tod schien beunruhigt zu sein.
ABER ANGENOMMEN, DER SCHNEEVATER HÄTTE DAS WUNDERSCHÖNE PFERD GEBRACHT…
»Oh, mein Vater wäre sofort losgezogen, um es zu verscherbeln und ein paar Flaschen Schnaps zu kaufen«, sagte Albert.
WIR SIND IN HÄUSERN GEWESEN, WO DIE KINDER VIELE SPIELZEUGE HABEN, UND WIR HABEN IHNEN NOCH MEHR GEBRACHT. DOCH IN HÜTTEN WIE DIESER BEKOMMEN DIE KINDER PRAKTISCH GAR NICHTS.
»Ha, als ich ein Kind war, hätten wir praktisch alles gegeben, um wenigstens etwas zu bekommen«, meinte Albert.
SEI ZUFRIEDEN MIT DEM, WAS DU HAST – LÄUFT ES DARAUF HINAUS?
»Das ist eine gute Beschreibung, ja. Gib den Leuten nicht zuviel und sage ihnen, daß sie sich darüber freuen sollen. Die Marmelade am nächsten Tag.«
ES IST VERKEHRT. Tod zögerte. ICH MEINE… ES IST RICHTIG, MIT DEM ZUFRIEDEN ZU SEIN, WAS MAN HAT. ABER UM ZUFRIEDEN ZU SEIN, MUSS MAN WENIGSTENS ETWAS HABEN. WELCHEN SINN HÄTTE ES, MIT NICHTS ZUFRIEDEN ZU SEIN?
Damit erreichte die Diskussion neues, für Albert unbekanntes sozialphilosophisches Terrain.
»Keine Ahnung«, erwiderte er. »Vielleicht begnügen sich die Leute mit dem Hinweis, daß sie den Mond und die Sterne haben und so.«
ICH BEZWEIFLE, DASS SIE ENTSPRECHENDE EIGENTUMSURKUNDEN VORWEISEN KÖNNTEN.
»Ich weiß nur eins: Wenn mein Vater mich mit einem Beutel voller Spielzeug erwischt hätte, wäre ich von ihm als vermeintlicher Dieb übers Knie gelegt worden.«
DAS IST… UNGERECHT.
»So ist das Leben, Herr.«
ABER ICH BIN NICHT DAS LEBEN.
»Ich meine, so sind die Dinge nun einmal, Herr.«
ABER SIE MÜSSEN NICHT UNBEDINGT SO SEIN.
Albert lehnte sich an den Ofen und drehte sich eine seiner gräßlichen Zigaretten. Es war besser, dem Herrn Gelegenheit zu geben, auf seine eigene Art und Weise mit diesen Dingen fertig zu werden. Irgendwann kam er bestimmt darüber hinweg. Es war wie die Sache mit der Geige. Drei Tage lang jaulten gequälte Töne, und immer wieder rissen Saiten. Schließlich legte Tod die Geige beiseite und rührte sie nie wieder an. Darin kam eine typische Verhaltensweise zum Ausdruck. Wenn ihm etwas in den Kopf stieg, mußte man warten, bis es wieder heraussickerte.
Er hatte geglaubt, das Silvesterfest wäre nur Friede, Freude, Eierkuchen und ein fröhliches Ho-ho-ho. Allerdings war er nicht imstande, die anderen Dinge zu übersehen, und sie setzten ihm immer mehr zu.
ES IST SILVESTER, sagte der Tod. UND MENSCHEN STERBEN AUF DEN STRASSEN. MANCHE LEUTE GENIESSEN EINEN FESTSCHMAUS IN HELLEN, WARMEN ZIMMERN, UND ANDERE HABEN KEIN DACH ÜBER DEM KOPF. IST DAS GERECHT?
»Nun, was die Frage der Gerechtigkeit betrifft…«, setzte Albert an.
DER BAUER HATTE EINE HANDVOLL BOHNEN UND DER KÖNIG SOVIEL, DASS DIE KÖSTLICHKEITEN, DIE ER VERSCHENKEN WOLLTE, KAUM EINE LÜCKE AUF SEINEM TISCH ERZEUGTEN. IST DAS GERECHT?
»Aber wenn er beschlösse, immer alles mit dem Bauern zu teilen, wäre der in ein oder zwei
Weitere Kostenlose Bücher