Schweinsgalopp
anzutreiben.
Susanne hielt sich am Geländer der Plattform ganz oben fest.
»Kannst du dich nicht ein wenig beeilen?« fragte sie. »Wir sind erst bei ›Bi‹.«
»Ich trete schon seit einer Ewigkeit in die Pedale!« schnaufte der o Gott.
»›A‹ ist ein sehr beliebter Buchstabe.«
Susanne blickte an den Regalen entlang. Zu »A« gehörte auch »Anonym«, und in diese Rubrik fielen alle Leute, die aus irgendeinem Grund keinen richtigen Namen bekommen hatten.
Die betreffenden Bücher waren in den meisten Fällen recht kurz.
»Mal sehen… Bo… Bod… Bog… nach links abbiegen…«
Der Bibliotheksturm quietschte schwerfällig um die nächste Ecke.
»Bo… Mist, die Bots stehen mindestens zwanzig Regale weiter oben.«
»Oh, nett«, erwiderte der o Gott grimmig.
Er zerrte an dem Hebel, der die Antriebskette von einem Zahnrad aufs nächste schob, und trat dann erneut in die Pedale.
Träge wuchs der Turm nach oben.
»Jetzt haben wir die richtige Höhe erreicht!« rief Susanne nach einigen Minuten. »Nun, wen haben wir hier? Aabane Bottler…«
»Ich schätze, Violett ist ein ganzes Stück weiter vorn, nicht wahr?« fragte Gallig in dem Bemühen, ironisch zu sein.
»Vorwärts!«
Der Turm schwankte ein wenig, als er an den Bs entlangrollte, bis…
»Halt!«
Das Gebilde erzitterte, als der o Gott den Bremsblock gegen ein Rad trat.
»Ich glaube, ich habe das richtige Buch gefunden«, sagte Susanne. »Du kannst die Plattform jetzt wieder senken.«
Ein großes Rad mit schweren Bleigewichten drehte sich langsam, als sich der Turm wie eine Ziehharmonika zusammenschob und dabei knirschte und knarrte. Die letzten zwei Meter kletterte Susanne herab.
»Hier hat jeder ein Buch?« fragte Gallig, während seine Begleiterin blätterte.
»Ja.«
»Auch Götter?«
»Alles, was lebt und sich seiner Existenz bewußt ist«, sagte Susanne, ohne aufzusehen. »Wie seltsam… Man könnte meinen, Violett befände sich in einer Art… Gefängnis. Wem könnte daran gelegen sein, eine Zahnfee einzusperren?«
»Jemandem mit sehr empfindlichen Zähnen?«
Susanne blätterte einige Seiten zurück. »Hier steht was von… Kapuzen über dem Kopf und Leuten, die sie wegtragen und so. Aber…« Sie blätterte erneut. »Ihre letzte Arbeit betraf Banjo… ja, und sie bekam den Zahn… und dann hatte sie das Gefühl, daß jemand hinter ihr stand… und es folgte eine Fahrt mit einem Karren… und die Kapuze rutschte runter… und sie sieht einen Dammweg… und…«
»Das alles steht in einem Buch ?«
»In der Autobiographie. Jeder hat eine. Sie schreibt das Leben, während man es lebt.«
»Habe auch ich eine Autobiographie?«
»Das nehme ich an.«
»Meine Güte. ›Stand auf, übergab sich, wollte sterben.‹ Keine besonders fesselnde Lektüre.«
Susanne blätterte.
»Ein Turm«, sagte sie. »Violett ist in einem Turm. Groß und innen weiß… aber nicht draußen. Apfelbäume wachsen in der Nähe, aber die Bäume… Sie sehen nicht richtig aus. Und ein Fluß, der ebenfalls sonderbar wirkt. Goldfische schwimmen dort, allerdings über dem Wasser.«
»Ah, Umweltverschmutzung«, kommentierte der o Gott.
»Das glaube ich nicht. Hier steht, daß Violett die Fische schwimmen sah.«
»Auf dem Wasser?«
»So soll es ausgesehen haben.«
»Im Ernst? Hat sie vielleicht schimmeligen Käse gegessen?«
»Und dann der blaue Himmel… Da stimmt was nicht. Sie meint, der blaue Himmel wäre nur oben …«
»Genau der geeignete Platz für den Himmel«, sagte Gallig. »Wenn man den Himmel unten sieht, ist man vermutlich in Schwierigkeiten.«
Susanne blätterte vor und zurück. »Violetts Autobiographie erwähnt einen Himmel, der sich oben befindet… aber nicht an den Kanten. Es gibt keinen Himmel am Horizont.«
»Entschuldige bitte«, sagte der o Gott. »Ich bin noch nicht lange in dieser Welt, was ich sehr zu schätzen weiß, aber ich glaube, man braucht Himmel am Horizont. Damit man weiß, daß es der Horizont ist.«
Ein Gefühl des Vertrauten näherte sich Susanne – und verkroch sich irgendwo, wenn sie versuchte, ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten.
»Ich habe den hier beschriebenen Ort schon einmal gesehen«, sagte sie und klopfte auf die Seite. »Wenn sie sich doch nur die Bäume etwas genauer angesehen hätte… Angeblich haben sie braune Stämme und grüne Blätter, was ihr aus irgendeinem Grund seltsam erschien. Und…« Sie las den nächsten Absatz. »Blumen. Wachsen im Gras. Mit großen runden
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