Schweinsgalopp
wußte sie, was für ein Ort dies war. Das letzte Mosaikstück fand seinen Platz, und von einem Augenblick zum anderen entstand ein einheitliches Bild. Wenn es hier ein Haus gab, so wußte sie, wie die Fenster aussahen und auf welche Weise der Rauch aus dem Schornstein kam.
Mit ziemlicher Sicherheit hingen Äpfel an den Bäumen. Und bestimmt waren sie rot, denn alle wußten, daß Äpfel nur rot sein konnten. Und die Sonne war gelb. Und der Himmel war blau. Und das Gras war grün.
Aber es gab noch eine andere Welt, von den Leuten, die an sie glaubten, wirkliche Welt genannt, und in ihr konnte der Himmel verschiedene Tönungen annehmen: Das Spektrum reichte von gebrochenem Weiß über Abendrot bis zu Gewittergelb. Die Bäume konnten nur aus kahlen Zweigen bestehen, kaum mehr als vage Linien vor dem Hintergrund des Himmels, oder ein herbstliches Gewand aus flammendem Rot tragen. Und die Sonne konnte weiß, gelb oder orange sein. Und Wasser war braun, grau und grün…
Dieser Ort bestand aus Frühlingsfarben. Allerdings nicht aus denen des Frühlings in der wirklichen Welt. Es waren die Farben des Frühlings der Seele.
»Dies ist ein Kinderbild«, sagte Susanne.
Der o Gott sank aufs Grün.
»Wenn ich zu der Lücke zwischen Himmel und Erde sehe, beginnen meine Augen zu tränen«, brachte er hervor. »Ich fühle mich schrecklich.«
»Dies ist ein Kinderbild, habe ich gesagt«, wiederholte Susanne.
»O weh… ich fürchte, die Wirkung des Gegenmittels läßt nach…«
»Ich habe Dutzende von solchen Bildern gesehen«, fuhr Susanne fort, ohne Gallig Beachtung zu schenken. »Man malt den Himmel oben, weil er sich über einem befindet. Und wenn man nur etwa sechzig Zentimeter groß ist, hat der Himmel ohnehin kaum seitliche Qualitäten. Und alle sagen, Gras sei grün und Wasser blau. Diese Landschaft wird gemalt. Twyla malt sie so. Ich habe sie so gemalt. Großvater hat einige der Bilder aufbe…«
Sie unterbrach sich.
»Alle Kinder malen so«, murmelte sie. »Komm. Suchen wir das Haus.«
»Welches Haus?« stöhnte der o Gott. »Und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du etwas leiser sprechen könntest.«
»Bestimmt gibt es hier ein Haus«, sagte Susanne und richtete sich auf. »An einem solchen Ort gibt es immer ein Haus. Mit vier Fenstern. Und der Rauch kringelt aus dem Schornstein. Hier sind die Dinge ähnlich beschaffen wie in der Domäne meines Gr… wie in der Domäne des Todes. Mit echter Geographie hat das alles kaum was zu tun.«
Gallig wankte zum nächsten Baum, schlug seinen Kopf dagegen und schien zu hoffen, daß es weh tat.
»Fühlt sich an wie richtige Geographie«, murmelte er.
»Aber hast du jemals einen solchen Baum gesehen?« fragte Susanne und zog ihn mit sich. »Ein großer grüner Fleck an einer braunen Stange? So sieht ein Lutscher aus!«
»Weiß nicht. Sehe einen Baum jetzt zum erstenmal. Arrgh. Mir ist was auf den Kopf gefallen.« Er starrte auf den Boden. »Ein rotes Ding.«
»Ein Apfel.« Susanne seufzte. »Alle wissen, daß Äpfel rot sind.«
Büsche fehlten, aber es mangelte nicht an Blumen: Sie wuchsen einzeln verstreut im weiten Grün.
Und dann ließen sie die Bäume hinter sich zurück. An einer Flußbiegung stand das Haus. Es hatte vier Fenster und eine Tür. Rauch kringelte aus dem Schornstein.
»Wie seltsam«, sagte Susanne und beobachtete das Gebäude. »Twyla zeichnet solche Häuser, obwohl sie in einer Villa wohnt. Und ich habe ebenfalls derartige Häuser gemalt – obgleich ich in einem Palast zur Welt gekommen bin. Warum?«
»Vielleicht… existiert dieses Haus für alle«, erwiderte Gallig. Es schien ihm immer schlechter zu gehen.
»Was? Glaubst du wirklich? Du meinst, alle Kinder malen diesen Ort? Weil er in ihren Köpfen existiert?«
»Frag mich nicht«, ächzte Gallig. »Ich habe nur versucht, eine intelligent klingende Antwort zu geben.«
Susanne zögerte. Die Worte Was nun? ragten vor ihr auf. Sollte sie zum Haus gehen und an die Tür klopfen?
Dann begriff sie, daß dies normales Denken war…
In der glitzernden, klappernden und plappernden Atmosphäre erlebte ein Oberkellner recht schwierige Minuten. Viele Gäste saßen an den Tischen, und die Angestellten hätten jetzt damit beschäftigt sein sollen, Bicarbonat-Tabletten in den Weißwein zu geben, damit er auf teure Weise sprudelte, sowie das Gemüse in kleine Stücke zu schneiden, damit es mehr kostete.
Statt dessen bildeten sie eine deprimierte Gruppe in der Küche.
»Wohin ist der ganze Kram
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