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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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mehr als einem Dutzend Jahren Gerichtsmediziner in Basel war, auf und musterte den lädierten Baumer ausgiebig. Der hingegen erwiderte seinen Blick nicht, sondern suchte sich unerbittlich seinen Weg hin zum Stuhl, der für Besucher bereitgestellt war. Dort stellte er sich davor und begann, sich ganz behutsam zu setzen.
    »Warten Sie! Ich helfe Ihnen.«
    Der Kommissar grummelte irgendetwas.
    Ohne darauf zu achten, war Regazzoni aufgestanden und um den Schreibtisch herumgegangen. Er packte den Stuhl vor seinem Schreibtisch an der Lehne und schob die Sitzkante an die Kniekehlen des Kommissars. »So, Herr Baumer, geht’s so?«
    »Messi«, dankte Baumer mechanisch, noch bevor er sich gesetzt hatte. Er sagte es ganz beiläufig, reflexartig, dieses eingedeutschte Merci, das im Schweizerischen je nach Gegend grobschlächtig gedehnt oder bauernschlau verkürzt ausgesprochen wird, in gehobenen Kreisen oft perfekt französisch. Mercii! Wenn Baumer mit einem Basler Notabeln verhandelte, der das Merci auf diese feine Art intonierte, und ihn dazu noch freundlich, aber ohne die Zähne zu zeigen, anlächelte, war er ganz besonders auf der Hut.
    Regazzoni ging wieder hinter seinen Schreibtisch zurück, setzte sich und wollte seinen Besucher fragen, wie es ihm denn gehe. Baumer war schneller.
    »Spricht sie Sie immer noch mit Herr Doktor an?«
    »Anita?«, fragte Regazzoni. »Ja, ja. Also das ließen wir so bleiben.«
    Anita Blohmstein war Regazzonis langjährige Sekretärin – und Geliebte. Erst vor zwei Monaten hatten sie endlich geheiratet. »Das macht es einfacher hier«, erklärte der Mediziner. Dann schüttelte er doch den Kopf. »Vielleicht lassen wir uns auch bald wieder scheiden.«
    Baumer war überaus erstaunt, und Regazzoni sah es ihm an.
    »Ja, Baumer. Da staunen selbst Sie. Aber so ist das Leben.«
    »Warum?«, fragte der Mann mit den kurzen braunen Haaren. Ein Wort genügte ihm, um Regazzoni am Reden zu halten.
    »Sie können es sich denken«, erzählte Doktor Regazzoni munter weiter, den alle bei der Polizei »Professor« nannten, obwohl er den Titel nie erhalten hatte. »Wir sind ein sehr gut eingespieltes Team gewesen«, fuhr Regazzoni fort. »Jeder hatte seine genaue Rolle, und beiden gefiel es so. Es gab nie Streit. Anita war meine Geliebte, und wir waren eigenständige Wesen mit eigenem Willen. Wir liebten uns sehr. Jetzt sind wir Mann und Frau und haben dauernd nur noch Krach.« Als er das sagte, bewegte er sich leicht nach vorne und erhob sich kurz vom Stuhl. Er räusperte sich und zog an seinem Krawattenknopf. »Vielleicht hat sie Angst, dass ich mir eine neue Geliebte nehme.«
    Baumer erinnerte sich an die Zeit, als der Mediziner seine geliebte Anita nur bis einige Straßen vors Institut fuhr und sie dann den Rest des Weges zu Fuß gehen ließ. So konnte er ein paar Minuten vorher am Arbeitsplatz einfahren, ohne dass jemand gemerkt hätte, dass sie beide zusammenlebten. Einen Tag bei ihm, einen Tag bei ihr. Am Abend ging sie dann kurz vor ihm, und er las sie ein paar Straßenecken weiter wieder auf. Baumer fragte sich, ob dieses Spielchen die zwei vielleicht besonders erregt hatte. Er konnte sich sonst nicht anders erklären, dass eine moderne Frau diesen Tanz ertragen hätte.
    Als ob Regazzoni diesen Gedanken seines Besuchers erraten hätte, sagte er: »Anita ist eine selbstbewusste Frau. Es geht schon in Ordnung, dass sie sich nicht länger verstecken muss. Wir behielten das früher ja auch nur geheim, damit nicht der Eindruck entstand, dass ich sie nur anstelle, weil ich sie liebe.«
    Andreas Baumer verstand und wollte nicht weiter insistieren, aber der Gerichtsmediziner schaute gedankenverloren auf seine Hände, die er jetzt im Schoss hielt und die er – Baumer konnte es erahnen – ständig kratzte.
    »Es war wohl keine gute Idee, dass wir beide am gleichen Ort weiterarbeiten«, sinnierte der Tessiner. »Die guten Unis wollen sowieso keine Paare mehr am gleichen Ort beschäftigen. An einem Institut ist ja mal was ganz Übles vorgefallen. Ein Giftzwerg hat alle Mitarbeiter terrorisiert und keiner konnte sich wehren, weil der Giftzwerg mit dem Chef verwandt gewesen war. Eine hatte den Mut sich gegen die schäbige Behandlung zur Wehr zu setzen und wurde prompt durch den Fleischwolf gedreht. Die war übrigens eine außerordentlich begabte Wissenschaftlerin. Ich glaube, jetzt gibt sie Primarschülern Nachhilfeunterricht.« Regazzoni verzog den Mund, als hätte er auf eine bittere Mandel gebissen. »Die

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