Schweizer Ware
gebeten hatte. Regazzoni genoss diesen Moment, putzte sich die Aufschläge seines Businessanzuges zurecht und holte dann gedehnt aus. »Also. Das freut mich, dass Sie nicht nur unsere Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Pathologie schätzen, sondern anerkennen, dass unsere Expertisen sehr wohl auch …«
Baumer unterbrach den Professor abrupt. Auf dem Gesicht trug er einen grimmigen Ausdruck. Er sagte knapp und einfordernd: »Was denken Sie?«
Regazzoni klappte prompt ein. Dieser Baumer!, ärgerte er sich. Immer wenn es lustig wird. Warum drängelt der bloß so? Als ob jemand auf den warten würde. Pah. Regazzoni verschränkte die Arme, blickte den Kommissar missmutig an.
Der begann tatsächlich, vor Ungeduld nervös zu schnauben, und wiegte seinen Oberkörper wie ein Orang-Utan hin und her.
»Also gut«, sprach Regazzoni wie zu sich selbst. »Du willst meine Meinung? Hier ist sie.« Geradeheraus und ohne sich zu schämen, sagte er zu Baumer: »Der Mord beeindruckt mich.«
Der Mann im Besucherstuhl hörte auf zu schaukeln. Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Er knickte den Kopf leicht ab und blickte den Gerichtsmediziner fragend an.
Regazzoni beugte sich nun wieder vertrauensvoll in Richtung seines Besuchers und machte eine Geste wie die eines französischen Gourmetkritikers, der im angesagtesten Restaurant in Paris die Spezialität des Hauses gekostet hatte. Er führte die Fingerspitzen von Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand an seinen Mund, den er spitzte, als würde er ein geliebtes Kind zärtlich küssen wollen. Ein schmatzendes Geräusch verabschiedete sich von seinen Lippen, als er die Hand wieder vom Gesicht wegführte. »Ein per-fek-ter Stich«, würdigte Regazzoni die Tat.
Baumer erschrak nicht über die Faszination des Doktors am Mord. Er sah die Erklärung des Gerichtsmediziners als fachmännische Beschreibung dessen an, was passiert war. Er hatte hören wollen, wie Regazzoni den Mordfall einschätzte. Der Professor hatte es ihm gesagt. So einfach war das.
Doch Regazzoni, fasziniert von der technischen Ausübung des Mordes, begann zu schwärmen. »Es war ein absolut präzise gesetzter Stich. Kein Gewurstel mit dem Instrumentum. Bedenken Sie, die Wunde ist nicht mal zwei Zentimeter breit.« Er reckte sich in seinem Bürostuhl und erklärte mit Faszination in der Stimme: »Ich hätte es nicht besser gekonnt.«
Andreas Baumer schaute jetzt doch überrascht über den Tisch, denn er sah, wie sich Regazzonis Blick verklärte. Der Mann schien in eine andere Welt zu gleiten. Baumer bemerkte, wie er sich anschickte, mit seiner rechten Hand einen imaginären Dolch hochzuheben. Er sinnierte einen Moment, holte dann ein wenig aus, fixierte vor seinem geistigen Auge den Nacken und stieß mit aller Wucht …
Dr. Regazzoni erschrak selbst ob seiner Bewegung und konnte gerade noch innehalten. Er schauderte leicht, senkte die Arme, fasste sich dann wieder. Als ob er aus einer Trance fallen und wieder zu sich kommen würde, schnaubte er tief aus, schüttelte sich. »Tja.« Er beugte sich wieder über den Tisch zu Baumer hinüber, senkte den Kopf, als wolle er mit Baumer, und nur mit Baumer, ein Geheimnis teilen. Mit gedämpfter Stimme sagte er: »Das war ein absoluter Profi.«
*
Als Andreas Baumer wieder auf der Straße vor dem Gerichtsmedizinischen Institut stand, kam ihm Anna in den Sinn. Es war kurz vor 10 Uhr morgens, und jetzt musste er sie erreichen können. Er rief auf ihre Nummer des Mobiltelefons an.
Keine Antwort.
Baumer schloss, dass sie das Frühstück wohl beendet hatte, vielleicht mit der Bedienung im Hotel Delphina – wie hieß sie noch? – ein Schwätzchen hielt. Ihr Handy hatte sie womöglich in der Tasche und hörte es nicht. Oder sie hatte es im Zimmer vergessen. Nach langem Läuten kam die Combox. Es war eine ruhig gesprochene, sachliche Ansage. Man spürte, dass Anna ihren Text mehrmals geübt haben musste. Baumer hörte ihre Stimme und überlegte, was er ihr aufs Band sprechen wollte. Als es piepste und er hätte reden können, kam ihm eine weitere Möglichkeit in den Sinn, warum sie nicht abnahm. Vielleicht hatte sie auf dem Display gesehen, dass er anrief, und wollte nicht abnehmen. Das wäre beunruhigend. Was hätte er ihr denn auf den Beantworter sprechen sollen? Rasch unterbrach er die Verbindung. Er musste zuerst überlegen, was er ihr sagen wollte. »Hallo, wie geht’s?«, wäre sicherlich nicht richtig. Müsste er sich entschuldigen? Wofür? Dafür, dass er seinen Job
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