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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Schweiz ist ein betonhartes Pflaster für eigene Talente.«
    Baumer sagte nichts.
    Schließlich gab sich der Mann im Businessanzug einen Ruck und wandte sich seinem Gast zu, die Hände legte er weit vor sich auf das Pult, als ob er mit dem Kommissar eine Beziehung eingehen wolle. Eine Bewegung, die Baumer nicht vom sonst so reservierten Regazzoni erwartet hätte. Regazzoni lächelte. »Also, nun zu Ihnen, Baumer. Come sta?«
    Wie es ihm gehe? Der Kommissar reagierte auf die Frage nach seinem Befinden missmutig. Er grummelte irgendetwas Unverständliches, verschluckte seine Worte wieder, kaum, dass sie auf seinen Lippen waren und sagte dann deutlich, »Lassen Sie uns über die erstochene Amadio-Meier reden.«
    Regazzonis Hände lagen auf dem Schreibtisch Baumer zugewandt, so wie die einer glücklichen Frau, die sie beim Dinner mit Kerzenlicht ihrem Beschützer entgegenführt. Nun zog Regazzoni seine Unterarme langsam wieder zurück. »Verstehe.« Enttäuscht seufzte er und sagte nachdenklich: »Amadio-Meier … hhm.«
    Andreas Baumer entgegnete nichts weiter. Er hatte gesagt, was zu sagen war. Der Mediziner wusste, was er von ihm wollte. Einen möglichst genauen Bericht dessen, was war. Und auch dessen, was sein konnte. Hatte Regazzoni etwas Auffälliges entdeckt? Gab es irgendeinen Hinweis auf irgendetwas Ungewöhnliches?
    Der Doktor aus dem Tessin dachte immer noch nach und sammelte seine Gedanken. Dann erzählte er im Ton eines Beamten alles, was er wusste. »Sie wurde gestern obduziert. Von mir persönlich und Assistenzarzt Schweinfeld, Waldemar Schweinfeld. Todesursache: Rückenmark durchtrennt zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. Der Tod erfolgte sofort. Ein flacher Einstich von eineinhalb Zentimetern Breite zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. Der Wundkanal ist sechs Zentimeter tief. Nur sechs Zentimeter. Die geringe Blutung ist erklärbar dadurch, dass kaum Blutgefässe zerstört wurden und das Herz und die Atmung sofort stillstanden, als das Rückenmark komplett durchtrennt worden war.«
    Hier machte er eine Pause. Nicht für sich. Für Baumer.
    »Weiter«, drängte Baumer, und Regazzoni fuhr fort. »Neben dem Mund waren auf beiden Seiten Druckspuren sichtbar. Rechts vier kleinflächige Druckmale. Links eine einzige Druckfläche, etwas größer als die rechts.« Regazzoni stoppte im Bericht und fragte, nun weniger förmlich, Baumer: »Wollen Sie wissen, wie groß die Druckspuren waren?«
    »Ja«, antwortete Baumer und wusste doch schon, was kommen würde.
    Prompt erklärte Regazzoni: »Sie können es sich denken. Es waren die Blutmale, wie sie typischerweise von den Fingern einer Hand kommen, die mächtig zudrücken.«
    Kommissar Baumer sah es vor sich, wie die alte Frau zu Tode gekommen sein musste. Sie hört das Knirschen und Knacken, als der Einbrecher das Schloss aufbricht. Sie stemmt sich schwer aus ihrem Sessel hoch, will zur Tür hingehen. Der Eindringling springt ins Zimmer und geht sie sogleich an. In Panik dreht sie sich weg von ihm, versucht zu flüchten, will schreien. Sie gibt ihrem Mörder dadurch ihren ungeschützten Nacken frei. Er packt sie von hinten, drückt ihr die Hand auf den Mund. Er zieht die Frau zu sich hin, rammt ihr ein Messer, einen Dolch, eine angespitzte Feile, eine Schere oder was auch immer in den Nacken.
    Baumer verkeilte seine Hände wie die Kupplungsbacken von Eisenbahnwagen und zog sie auseinander. Dabei presste er seine Kiefer zusammen.
    Regazzoni sagte leise: »Schöne Geschichte.«
    Baumer sprach immer noch nichts, aber zog jetzt ungemein stärker an seinen Händen. Die Muskeln seiner Ober- und Unterarme spannten an, aber die Kupplung hielt.
    »Ah ja, das habe ich fast vergessen«, fuhr der Gerichtsmediziner fort und hob eine Hand. »Ihr Gebiss war nach hinten in den Rachen gedrückt.«
    Auch diese Information nahm Baumer schweigend auf. Er fügte sie, wie alle anderen Fakten, sogleich in sein Puzzle ein. Dieses Teil hieß »Gebiss im Rachen«. Es passte in seine Theorie des Tathergangs.
    »So, das war’s«, schloss der Professor seinen Bericht ab und ließ seine Hände auf den Schreibtisch fallen. »Alles Weitere können Sie in meinem schrift…«
    Baumer unterbrach ihn. »Was ist Ihre Meinung?«
    »Meine Meinung?«, fragte der gutgekleidete Mediziner scheinbar erstaunt, als ob er nicht geschmeichelt gewesen wäre, dass Andreas Baumer, Kriminalkommissar in Basel und durchaus fähig, allein zu denken, ihn um seine Meinung, ergo Schlussfolgerungen,

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