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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Baumer nachdenklich. »Könnte sein, glaub ich aber nicht.« Einen solchen Gedanken hatte er schon durchdacht und verworfen. Womöglich müsste er dieses Puzzleteil aber doch noch einmal genauer untersuchen, ob es sich irgendwo einfügen ließe. Also räumte er ein: »Muss man trotzdem nachprüfen.«
    »Könnte es ein Raubmord gewesen sein? Ein Zufallsbekannter vielleicht?«
    »Unwahrscheinlich. Es gab kein Durcheinander. Nichts gestohlen.«
    »Trotzdem sollten wir die Kontoauszüge überprüfen. Vielleicht sehen wir etwas Auffälliges.«
    »Vielleicht«, antwortete Baumer und vermutete doch schon, dass das nichts bringen würde.
    Heinzmann nahm Baumers ablehnende Schlussfolgerung in dessen Vielleicht sehr wohl wahr. Daher spekulierte er in eine neue Richtung. »Also ein Irrer?«, spekulierte er.
    »Keine Spuren eines Sexualmords«, antwortete Baumer sofort. »Die Tür wurde mit Werkzeug aufgebrochen. Das deutet auf eine gewisse Planung hin, also nichts wirklich Spontanes.«
    »Auch ein Einbrecher macht manchmal ziemlich spontan einen Bruch. Aber dann nichts stehlen? Ist schon komisch.« Heinzmann kratzte sich am Kopf. »Vielleicht wurde der Täter beim Einbruch einfach überrascht? Tötet die Alte.«
    »Einbrecher sind keine Mörder. Ein klassischer Einbrecher wäre sofort abgehauen, als er sah, dass noch jemand in der Wohnung war.«
    »Ein Ritualmörder vielleicht? Einer, der alte Frauen von der Last des Lebens befreien will?«
    Baumer schüttelte den Kopf. Das war alles höchst unwahrscheinlich. Solche Typen arbeiten als Helfer im Alten- und Pflegeheim oder der Geriatrie in einem Krankenhaus. Dann, wenn einer die Last der Arbeit nicht mehr tragen kann, dreht er vielleicht durch. Aber von denen, die es kaum noch aushalten, kündigen die meisten rechtzeitig oder gehen zum Arzt. Nur ein absoluter Bruchteil dieser Typen flippt völlig aus und bringt heimlich Leute um, schießt mit Spritzen Luft in die Arterien der bettlägerigen Alten oder erstickt sie unter einem geräumigen Kopfkissen. Aber so einer geht doch nicht irgendwo in ein Wohnhaus und killt eine alte und noch ganz vife Frau.
    »Nein«, verwarf Baumer die These Heinzmanns nach einem Ritualmord ohne einen Ton des Spotts. Er wusste, dass sein Freund nur laut mitgedacht hatte und alle möglichen Ideen bringen wollte. Das war Baumer recht so. Man musste jeden Stein umdrehen und alles und jedes durchdenken. Nichts konnte als unmöglich ausgeschlossen werden, und jede Idee war recht. »Anything goes«, hatte Baumer aus einer Vorlesung von Paul Watzlawick an der Universität Zürich mitbekommen, damals, als er ein junger Student der Psychologie war. Jede Idee ist recht. Immerhin eine Erkenntnis, die er dem Grundstudium verdankte, das er damals nur absolviert hatte, um sich für die Polizeirekrutenschule anmelden zu können.
    Dennoch schloss Baumer die Phase des wilden Phantasierens ab, indem er mit forscher Stimme sagte: »Das Motiv liegt höchstwahrscheinlich nicht in der Familie.«
    »Wo dann?«, fragte Heinzmann.
    »Es liegt außen. Dort, wo die Frau unterwegs war.«
    »Wo war sie unterwegs?«
    »In den Spitälern. In den Altenheimen.«
    »Wie weißt du das?«, fragte Heinzmann seinen Freund.
    »Sie hat es mir erzählt.«
    »Was genau hat sie erzählt?«
    »Dass sie nur noch in den Spitälern unterwegs sei. Dass die meisten ihrer Freundinnen im Krankenhaus oder schon tot seien und dass sie dauernd ins Spital rennen müsse, um Leute zu besuchen.«
    »Was willst du machen?«
    »Suchen.«
    »Was, verdammt?«, Heinzmann schlug eine Faust in die hohle andere Hand.
    »Zuerst das Motiv. Dann den Täter.«
    »Oder die Täter.«
    »Oder die«, brummte Baumer.
    »Wo willst du beginnen?«
    »Ich will schauen, mit wem die Amadio in den letzten Tagen unterwegs war. In welchen Spitälern sie war. Dort geh ich hin. Vielleicht weiß eine der Freundinnen der Amadio, welchen Verdacht sie hatte.«

5
    Am nächsten Morgen wurde Baumer in seiner Zweizimmerwohnung von Lärm geweckt. Es war das metallische Gerumpel und Geknirsche der großen Pendlerzüge, die vom Rangierfeld beim Elsässer Tor her in den Bahnhof einfuhren und für ihre Fahrten bereitgestellt wurden. Normalerweise wurde er vom wehleidigen Kreischen der Räder auf den Schienen nicht geweckt. Über die Jahre hatte er sich an das Geräusch gewöhnt. Heute schlief er aber unruhiger als sonst und wachte bereits bei den ersten Zuggeräuschen des anbrechenden Tages auf. Noch gab es keine plärrenden Lautsprecherdurchsagen,

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