Schweizer Ware
machte? Dafür, dass er den Mörder einer alten Dame fangen wollte? Dass er vergessen wollte? Maja vergessen wollte. Um sein zu können. Ja, er müsste sich wohl entschuldigen, denn Anna gegenüber war es unrecht.
Und doch.
Baumer biss sich auf die Zähne und verzog den Mund. Er war sich bewusst, dass er seine neue Freundin nicht richtig behandelt hatte. Doch zugleich spürte er, dass er auch sich selbst etwas schuldig war. Er musste doch auch zu sich schauen und hatte gar nicht anders gekonnt. Er war, was er war und was er immer sein würde.
Anna tat ihm dennoch leid. Aber ein saloppes Gespräch wäre jetzt nicht richtig. Erst musste er noch überlegen, wie er es wieder gutmachen konnte, dass er sie so allein zurückgelassen hatte.
Baumer wählte stattdessen die Nummer von Heinzmann auf seinem Telefon. Es war Tag und es bestand die Gefahr, dass sein Freund sich irgendwo von der langen Nachtschicht ausruhen würde. Er wollte ihn nicht um den verdienten Schlaf bringen, also ließ er es nur sehr kurz läuten. Zwei Mal, doch niemand nahm ab. Baumer unterbrach die Leitung sofort wieder. Vielleicht hatte er seinen Freund nun geweckt, aber der würde sich, einen Fluch ausstoßend, auf die andere Seite drehen und weiterschlafen. Wenn er hingegen nicht geschlafen hatte, dann würde er zurückrufen.
Er rief zurück.
»Sali, Andi. Was brauchst du?«, hörte Baumer seinen Freund am anderen Ende der Leitung. Heinzmann versuchte positiv zu klingen, aber seine Stimme war belegt.
Baumer bekam den Eindruck, dass er Stefan Heinzmann aus dem Reich der Träume – was träumt ein Heinzmann? – geschüttelt hatte. »Ciao, Stefan. Ich wollte dich nicht wecken. Bist du wach?«
»Ich bin immer wach.«
Das stimmte. Heinzmann schien nie wirklich außer Dienst. Baumer konnte die Tage, an denen er ihn in Zivil gesehen hatte, an den Fingern einer Hand abzählen. Manchmal fragte sich Baumer, was darunter hervorkommen würde, wenn Heinzmann die Uniform auszog. Vielleicht würde nur ein nacktes Skelett übrig bleiben.
»Bist du unterwegs, Stefan?«, fragte Baumer. »Kannst du mich fahren?«
»Wo bist du?«
»Am Gerichtsmedizinischen Institut.«
»Okay. Ich komme. Sieben Minuten.«
Baumer wollte noch anfügen, dass er ihn nicht aus dem Bett jagen wolle, aber Heinzmann hatte schon aufgelegt. Also stand Kommissar Baumer vor dem Institut und schaute in die Umgebung.
Sieben Minuten.
Er überlegte kurz, ob fünf plus zwei Minuten genügen würden, um mit Anna zu reden. Doch es war ihm klar, dass die nur zum Austausch von einigen wenigen Sätzen gereicht hätten. Dann wäre Heinzmann schon um die Ecke gekurvt, hätte neben ihm angehalten. Er hätte einsteigen müssen, und Anna hätte erneut gemerkt, dass nicht sie das Wichtigste i n Andis Leben war. Also verzichtete Baumer. Er brauchte mehr Zeit für ein Gespräch mit ihr. Mindestens so viel, dass sie selbst hätte entscheiden können, wann es genug war mit reden. Dreißig Minuten hätte er ihr schenken müssen, wahrscheinlich eher mehr. Er hätte es gerne getan – wenn er gekonnt hätte.
Andi Baumer fragte sich, was sie heute unternehmen würde? Ob sie sich an den Swimmingpool legen würde? Nein, sie hatte ja Sonnenbrand. Da musste sie vorsichtig bleiben. Vielleicht ließ sie sich nach Heraklion fahren, um in ein Museum zu gehen, oder sie ging nach Knossos, den Palast des Königs Minos anschauen. Wie sie wohl dorthin käme? Ob sie ein Moped mieten würde? Er traute es ihr durchaus zu. Anna war selbstständig, wenn sie sein wollte, und anhänglich, wenn sie das Tragen von Verantwortung leid hatte – eine moderne Frau eben. Auch war sie einen deutlichen Schlag stärker an anderen Leuten interessiert als er selbst. Sie fand rasch Anschluss. Kam dazu, dass sie bildhübsch war. Wahrscheinlich hatte sie schon gestern jemanden kennengelernt, der ihr den Rücken – nur den Rücken? – mit Joghurt Nature einschmierte. Womöglich war sie mit diesem Heini schon unterwegs nach Knossos, um im Schlafzimmer der Königin zu knutschen. Vielleicht blieben sie auch gleich im Hotel. Baumer kratzte sich nervös an der Wange. Was für dumme Gedanken, sagte er zu sich selbst, sinnloses dummes wirres Zeugs.
Doch dann sprühten weiter düstere Vermutungen durch sein Hirn, und er schalt sich energisch. Du dummes Arschloch, lässt so eine Superfrau alleine in Griechenland. Er schlug sich ins Gesicht. Es nützte nichts. Mit immer neuen Bildern brachen ihm alle Dämme. Er konnte diese griechischen
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