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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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die den Lärm rasselnd begleiteten – »Einfahrt des Intercitys aus Zürich auf Gleis sechs«. Es musste sehr früh am Morgen sein. Er schaute auf das Display seines Weckers.

    5 Uhr 16.

    Die Nacht war noch stockdunkel. Schlafen konnte er trotzdem nicht mehr. Er war sofort wieder im Fall, kaum hatte er die giftig grünen Ziffern an seinem Radiowecker wahrgenommen. Sonst konnte er meist gut durchschlafen, ohne dass er durch die lärmende Kakophonie vor seiner Wohnung gestört worden wäre. Er spürte sie nur noch als Welle. Diese schwillt am Morgen jeweils kurzzeitig stark an. Dann verebbt sie leicht, aber kommt und geht mit jeder Stunde in milderer Form wieder.

    Schweizer Taktfahrplan.

    Um 17 Uhr brandet dann nochmals ein Tsunami heran. Dieser bricht sich an der Endstation Basel und pendelt noch ein paar Mal hin und her, sich dabei rasch abschwächend, bis der Lärm um ein Uhr nachts vollständig erstirbt.
    Diese Geräuschkulisse gab Baumer Sicherheit. Gewissheit, dass die Welt noch da war, während er sich in seiner Höhle verkriechen und sein Unterbewusstsein am Mordfall Amadio-Meier arbeiten lassen konnte.
    Plötzlich war sie in seinem Kopf, drängte sich in den Vordergrund. Anna.
    »Hast du mich vergessen?«, fragte sie.
    Baumer bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Er hatte zwischendurch immer wieder an seine Partnerin gedacht, hatte sie auch anrufen wollen. Aber im Flieger hatte es nicht funktioniert. Am Flughafen war bereits Heinzmann da gewesen. Am Abend hatte er sie dann tatsächlich vergessen. Jetzt hätte er Zeit gehabt anzurufen. Aber es war erst früher Morgen in Griechenland. Jetzt ging es nicht, er würde Anna nur aus dem verdienten Ferienschlaf reißen.
    »Ich rufe dich später an«, sagte er zum Bild einer betrübten Anna in seinem Kopf, die sich enttäuscht abwandte.
    »Versprichst du es?«
    Ja, dachte Andi. Ich verspreche es und schlief wieder ein.
    Als er zwei Stunden später endlich aus dem halben Schlaf kam, konnte er sich kaum erinnern, was er geträumt hatte. Er wusste nur noch, dass er von Anna und der alten Amadio geträumt hatte. Ja, und auch Majas Bild war ihm im Schlaf erschienen. Rasch stemmte er sich auf, schüttelte seinen Kopf, als könne er die Erinnerung an seine alte Freundin hinausschütteln. Er zwang sich an den Fall zu denken, war froh darüber, dass einige Arbeit auf ihn wartete, versuchte, die Bilder von Maja weiter zu verdrängen.
    Er mühte sich ins Bad, wusch sich schläfrig am Waschbecken, zog sich an. Dafür musste er sich erneut in die Trainingshose zwängen, die auf der Seite seines vernarbten Oberschenkels in ganzer Länge aufgetrennt worden war. Klettverschlüsse ersetzten die Naht, und so konnte er ohne fremde Hilfe hineinkommen. Baumer sehnte den Tag heran, wo er endlich wieder einmal seine geliebten Lee-Jeans tragen konnte, die er zur Identität brauchte wie ein Gigolo seine bronzene Gesichtsfarbe. Ohne seine robusten Baumwollhosen fühlte sich Baumer ungeschützt und schwach. Wenigstens blieben ihm seine geliebten Designerhemden. Dafür war er bereit tief in die Tasche zu greifen. Sie waren eines seiner wenigen Laster, obwohl er sich für materielle Dinge so wenig interessierte wie für Geld. Heute wählte er eines von Boss. Dazu zog er irgendeine alte Jacke an, die er seit Jahren im Schrank hatte. Schuhe? Von Geox, im sportlichen Stil.
    »Kommst du jetzt zu mir, ja?«, fragte eine innere Stimme, über die Baumer tatsächlich erschrak. »Ja, Großmutter, ich komme bald, aber jetzt noch nicht«, antwortete er beinahe pflichtschuldig der älteren Frauenstimme, die klang wie die eines verliebten Teenagers. »Zuerst muss ich zum Gerichtsmediziner. «

    *
    Dreißig Minuten später stand er im Vorzimmer von Dr. med. Regazzoni. Als seine Sekretärin sah, dass er nach knapper Begrüßung direkt in das Zimmer ihres Chefs gehen wollte, ging sie ihm schnell voraus, klopfte rasch drei Mal an die Tür und öffnete sie. Baumer stapfte zügig an ihr vorbei, ja er drückte sie richtiggehend zur Seite, so wie die Schnellfähre vor dem Hafen von Piräus ein kleines Fischerboot zur Flucht zwingt.
    »Herr Kommissar Baumer ist hier für Sie, Herr Doktor«, konnte die Frau an den Türrahmen gedrängt gerade noch sagen.
    Dr. med. Regazzoni saß an seinem Schreibtisch, wie immer in einen Businessanzug gekleidet. Der Mittvierziger blickte noch auf die Notizen auf seinem Schreibtisch, während er – ein alter Reflex – seinen Krawattenknopf anzog. Dann schaute der Tessiner, der seit

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