Schweizer Ware
und trugen nur Arbeitshosen und ein T-Shirt. Sie schnitten die Hecken an der westlichen Seite des Parks, stutzten sie, so dass sie wie die Gerippe von zerschlissenen Regenschirmen aussahen. Baumer fragte sich, ob es nicht noch ein wenig früh im Jahr war, die Büsche zu stutzen. Sie würden vielleicht nie mehr richtig ausschlagen. Dann überlegte er, dass das vielleicht sogar der Sinn der Aktion sei. Die Gewächse so zerhacken, dass sie überhaupt ganz kahl blieben. Dann könnten sich die Schwulen nicht mehr in diesen Büschen heimlich treffen. Dann müssten sie sich wieder in die Toilette bei der Tramhaltestelle am Schützenhaus drängeln. Und dann würde sich wieder jemand beschweren, dass Homosexuelle in der Toilette ihr Unwesen trieben.
Als Heinzmann das Auto in der Rotbergerstraße parkte, glaubte Baumer plötzlich die alte Amadio rufen zu hören: »Ui, schon da«, und er sah sie tatsächlich vor seinem geistigen Auge, wie sie sich rasch die Hände an der Küchenschürze trocknete, um die Tür zu öffnen.
*
Helen Amadio-Meier war nicht zu Hause. Trotzdem schien es Kommissar Baumer, der sich im Wohnzimmer umschaute, als wäre sie noch irgendwie in diesen Räumen anwesend. Vielleicht würde sie gleich aus der Küche kommen und ihn fragen, »Möchten Sie einen Tee, Herr Baumer? Oder vielleicht lieber einen Kaffee? Ich mach es gerne. Sagen Sie es nur! Sagen Sie es nur!« Er würde antworten, »Ein Kaffee.« Und weil er alte Leute gern hatte, würde er sogar anfügen. »Das ist lieb.«
Niemand kam.
Andreas Baumer stand da und ließ die Stimmung auf sich wirken. Zugleich untersuchte er mit professionellem Blick den Wohnraum. Vielleicht gab es wichtige Hinweise auf den Mord, die noch keinem aufgefallen waren.
Die Wohnung war die einer Frau, die gut organisiert war, durchaus mit einem Schuss Liebe fürs Schöne und Edle. Die Zimmer waren pragmatisch und zugleich stilvoll eingerichtet. Ein großes Buffet stand erhaben im Wohnzimmer und trug erstaunlich wenig Krimskram in den Nischen. Auch fehlten die bei alten Leuten oft so prominent aufgestellten Medikamentenschachteln und -gefäße in allen Formen und Farben. Helen Amadio-Meier hatte sich – mit Ausnahme des kleinen Schlaganfalls, den sie kürzlich erlitten hatte – für ihr hohes Alter eine gute Gesundheit erhalten. Sicherlich gäbe es trotzdem irgendwo Medikamente – fein säuberlich weggestellt. Einzig eine Broschüre eines privaten Alters- und Pflegeheims mit angeschlossener Klinik, die »Alpensonne«, deutete an, dass die Rentnerin sich rechtzeitig mit ihrer möglichen Zukunft auseinandersetzen wollte.
In einer Nische stand das Porträtbild eines Mannes in goldenem Rahmen. Er blickte erhaben aus seinem Anzug, ein wenig mürrisch, zugleich stolz, das Weiß des Hemdes bereits stark vergilbt. Das musste ihr Sohn in den späten 60er-Jahren sein, wohl als er die Matura geschafft hatte. Das schloss der Kommissar aus dem weiten Kragen, der dünnen Krawatte, den akkurat ausrasierten Ohren, den 19 Jahren in den glühenden Bäckchen des jungen Mannes.
An der Wand stand das neue Sofa, das dem Kommissar schon beim ersten Besuch aufgefallen war, als sie Helen Amadio-Meier kennengelernt hatten. Rot. Leder. Darüber und auch an den anderen Wänden hingen kunstvoll gerahmte Bilder. Baumer kannte sich ein wenig aus. Während seiner kurzen Studienzeit an der Universität Zürich hatte er eine Freundin, die ihn jeden Freitag zu einer Kunstvernissage geschleift hatte. Von daher konnte er die Bedeutung der Werke gut einschätzen. Es waren wertvolle Zeichnungen und Druckgraphiken von bekannten Basler Künstlern. Irène Zurkinden hing da, eine Zirkusstimmung. Niklaus Stöcklin, »Basler Herbstmesse«. Auch ein Max Kämpf in einem goldenen Rahmen, »Alter Säufer«. Dass die Rentnerin nicht nur an lokaler Kunst interessiert gewesen sein musste, zeigte sich darin, dass sich auch der Zürcher Max Bill prominent inmitten der Basler Klassiker fand. Sogar eine topmoderne Zeichnung, nur mit Kugelschreiber gefertigt, stellte die alte Amadio in ihrer Wohnung aus. Das Bild zeigte zwei Freunde, die sich umarmten und lachten und glücklich waren. Unterschrieben war die Zeichnung mit Claudia und Julia Müller. Baumer kannte die Künstlerinnen nicht, aber er schaute das Bild lange an. Es berührte ihn sehr. Ein wunderschönes Kunstwerk.
Liebe.
Maja.
Rasch drehte sich Baumer ab. Er war allein mit Heinzmann in der Wohnung. Die Untersuchungen und letzten Spurenauswertungen waren
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