Schwelbrand
grüßte er den Kriminaldirektor, der von seinem Stuhl hochgesprungen war. »Haben Sie einen Mitarbeiter mitgebracht?«, fragte er Lüder.
Bevor der antworten konnte, deutete Dr. Starke eine Verbeugung an. »Dr. Starke vom Landeskriminalamt. Ich bin der Vorgesetzte von Herrn Lüders.«
»Fein«, sagte der Ministerpräsident mit sonorer Stimme, griff Lüder am Ärmel und zog ihn in sein Büro. »Kommen Sie. Meine Zeit ist – wie immer – knapp bemessen.« Er lachte auf. »Gäbe es keine Opposition, könnte ich Ihnen mehr Aufmerksamkeit widmen.«
Lüder folgte dem Regierungschef. Dr. Starke hatte ihm einen bösen Blick zugeworfen und eilte den beiden hinterher, als sich der Ministerpräsident noch einmal umdrehte.
»Danke, dass Sie Herrn Dr. Lüders begleitet haben. Im Augenblick ist Ihre Präsenz nicht erforderlich. Sabine«, sprach er eine der Sekretärinnen an, »können Sie den Herrn … ähh …«
»Dr. Starke«, beeilte sich der Kriminaldirektor zu antworten.
»Also, den Herrn hier mit Kaffee versorgen, während ich mit Dr. Lüders spreche? Danke.«
Er schloss vor dem verdutzt dreinblickenden Kriminaldirektor die Tür und zeigte auf die Sitzgruppe.
»Sie kennen sich ja aus.« Nachdem er Platz genommen und seine Bügelfalten zurechtgezupft hatte, sagte er: »Ersparen Sie mir lange Vorreden. Ich habe Sie hergebeten, weil ich Ihnen vertraue und weiß, dass außergewöhnliche Probleme bei Ihnen in den besten Händen liegen. Hier.« Er nahm ein Blatt Papier hoch, das verdeckt auf dem Tisch gelegen hatte, und reichte es Lüder.
Es war normales Papier, achtzig Gramm Standard, wie Lüder erkennen konnte, das überall im Handel zu erwerben war.
Im oberen Drittel waren zwei blaue Löwen gedruckt. Darunter stand: »Es reicht.«
Lüder betrachtete den Ausdruck lange und ausgiebig. Dann runzelte er die Stirn.
»Dazu kann man viele Gedanken anstellen. Die beiden Löwen sind nach innen gewandt. Sie sind rot bewehrt und schreiten. Blau auf gelbem Grund. Das ist der linke Teil unseres Landeswappens.«
Der Ministerpräsident lachte kurz auf. »Der rechte Teil.« Als Lüder ihn fragend ansah, erklärte er: »Die Löwen sind im heraldisch rechten Feld. Das ist das für den Betrachter linke. Sie haben natürlich recht. Lassen wir die Wissenschaft. Sie haben es richtig erkannt. Es handelt sich um die Schleswigschen Löwen, die im Landeswappen den nördlichen Teil unseres Landes repräsentieren.«
»Up ewig ungedeelt«, sagte Lüder mehr zu sich selbst und wiederholte auf Hochdeutsch: »Auf ewig ungeteilt.« Im Unterschied zu anderen Bundesländern, in denen es eine Rivalität zwischen Rheinländern und Westfalen oder Badenern und Württembergern gab, hatte der Bindestrich im Namen Schleswig-Holstein wirklich eine bindende Wirkung. »Da fehlt das holsteinische Nesselblatt«, stellte Lüder fest. »So macht es keinen Sinn.«
»Richtig«, bestätigte der Ministerpräsident. »Außerdem fällt noch etwas auf.« Er sah Lüder fragend an. Als der die Schulter zuckte, zog der Ministerpräsident einen Kugelschreiber hervor und zeigte auf die beiden Löwen. »Es gibt zwei Wappen. Dieses hier darf nur von offiziellen Stellen verwendet werden. Sie erkennen es am Schwanz der Löwen, der am Ende in zwei Teile gespalten ist. Für den allgemeinen Gebrauch, sozusagen das ›Jedermannwappen‹, da haben die Löwen eine einzelne buschige Rute. Dies hier ist das offizielle Wappen.«
Lüder betrachtete das Papier lange. Noch erschloss sich ihm nicht, welche Aussage damit verbunden sein sollte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob hinter diesem Brief nicht eine Warnung stecken könnte«, äußerte der Ministerpräsident seine Vermutung. »Löwen und Nesselblatt gehören zusammen. Wenn jemand nur die Löwen druckt und sagt: ›Es reicht‹, könnte da eine separatistische Idee dahinterstehen?«
»Dafür gibt es keine Anzeichen. Uns liegen beim Staatsschutz keine Hinweise dazu vor. Andererseits … Die Schleswigschen Löwen entstammen dem dänischen Wappen. Sollte es bei der dänischen Minderheit im nördlichen Landesteil rumoren?« Lüder sah den Ministerpräsidenten nachdenklich an. »Es gab hinreichend Zündstoff in der gutnachbarlichen Beziehung. Die Kürzung der Mittel für die dänischen Schulen, die Amputation der Universität Flensburg, die erfolgreich mit der süddänischen Universität kooperiert hat, Etatkürzungen beim Landestheater, das in Flensburg sitzt, kein Ausbau der Verkehrswege, ich denke da an die Bundesstraße 5 an
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