Schwelbrand
der Inhalt sich auf den Fliesen verteilte. Gebannt starrte die Frau auf den Fußboden, dann begann ihr schmaler Körper zu beben. Sie riss die Hände vors Gesicht und schluchzte. Mit einem schnellen Schritt war Christoph bei ihr und nahm sie in den Arm. Sie lehnte sich an ihn, kroch förmlich in ihn hinein und ließ ihrem Schmerz freien Lauf.
Es mochten Minuten vergangen sein, in denen niemand sprach, während Christoph ihr sanft über den Kopf strich, soweit es die hochgesteckten Haare zuließen.
»Ich werde eine Kollegin informieren«, sagte er schließlich. »Die wird sich heute um Sie kümmern. Wir werden außerdem dafür sorgen, dass ein Seelsorger zu Ihnen kommt. Wir sind unendlich traurig und werden alles tun, um Ihnen zu helfen.«
»Aber … Jörg«, sagte sie, und Christoph wusste, dass keine Hilfe der Welt der Familie den Vater und Ehemann ersetzen konnte.
Er ließ ihr Zeit, bis sie sich von ihm löste und sich mit einem Geschirrtuch die Tränen abtrocknete. Christoph nutzte die Zeit, rief Hilke Hauck an und gab die Adresse durch. Die Kommissarin stellte keine Fragen und sagte zu, umgehend zu kommen.
In diesem Moment erschien ein kleiner blonder Junge mit Sommersprossen im Gesicht. Er war barfuß und trug noch den Pyjama. Der Junge wischte sich verschlafen über die Augen und sah irritiert in die Küche.
»Was ist hier los?«, fragte er.
Christoph war froh, als Nathusius aufstand und sich zu dem Kind hinabbeugte. Er hörte nicht zu, mit welchen Worten der Kriminaldirektor dem Kleinen das zu erklären versuchte, was Christoph selbst nicht verstand.
***
»Ruhe!«
Die Hand landete klatschend auf der Tischfläche, dass die Tassen und Teller tanzten. Für einen Augenblick war es so still, dass man die Atemluft hören konnte. Dann drang ein leises kindliches Kichern durch die Stille. Über der vorgehaltenen Hand vor dem Mund suchten zwei lustige kleine Augen die Runde prüfend ab. Dann wurde aus dem Kichern ein lautes Lachen, in das drei andere Kinder und zwei Erwachsene einfielen.
»Glaubst du wirklich, die Rolle als Patriarch steht dir?«, fragte Thorolf, der Sechzehnjährige, und steckte sich ein halbes Brötchen in den Mund.
»Du kannst schlecht argumentieren, wenn du den Mund so vollnimmst«, erwiderte Lüder. »Das gilt für Brötchen und andere Vorhaben.«
»Hä – hä«, quetschte Thorolf zwischen den Zähnen hervor.
Margit war aufgestanden und hatte die Thermoskanne von der Arbeitsfläche geholt. »Noch Kaffee?«, fragte sie Lüder und schenkte nach, als er nickte.
Das Machtwort hatte nur wenig genutzt. Schon begannen sich Viveka und Jonas wieder zu streiten.
Lüder atmete tief durch. Diese Familie war nur schwer zu bändigen. Das galt für Thorolf und seine ein Jahr jüngere Schwester Viveka, die Margit mitgebracht hatte, für Jonas, das Enfant terrible, das aus Lüders geschiedener Ehe stammte, und für die vierjährige Sinje, Margits und Lüders gemeinsame Tochter.
Bevor Margit sich entfernen konnte, hatte Lüder sie um die Taille gefasst und zu sich herangezogen. »Ich würde viel vermissen«, sagte er, »wenn es euch nicht gäbe.«
»Und wenn wir alle leise wären, würdest du uns nicht hören. Das wäre doch so, als gäbe es uns nicht«, argumentierte Thorolf.
»Hast du deine Schularbeiten erledigt?«, wandte sich Lüder an Jonas.
»Klaro.«
»Der lügt«, mischte sich Viveka ein. »Die macht er immer vor der Schule aufm Klo. Die schreibt er von Dixi ab. Die will was von ihm.«
»Du spinnst doch«, ereiferte sich Jonas, und ein leichter Rotschimmer überzog sein Gesicht. »Die ist doch viel zu fett. Und rothaarig.«
»Jonas! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Schule ernst nehmen.«
»Ich weiß«, stöhnte er. »Ich lerne fürs Leben, nicht für die Schule.«
»Und? Was ist mit dem Abschreiben im Klo?«
»Viveka lügt«, behauptete Jonas. »Dabei geht die doch zum Konfirmationsunterricht. Die sollte doch wissen, dass man nicht lügen soll. Steht doch im vierten Gebot. Oder so.«
»Das besagt etwas anderes, besonders Wichtiges. Weißt du es, Viveka?«
»Nö«, antwortete das Mädchen kess und grinste. Warum sollte ausgerechnet sie vortragen, dass man die Eltern achten und ehren soll?
»Und was ist mit dem Lügen?«, hakte Lüder nach.
»Keine Ahnung«, erwiderte Jonas. »Außerdem kann ich noch lügen. Ich gehe noch nicht zum Konfer.«
»Was hast du heute zu tun?«, wechselte Margit das Thema und sah Lüder an.
»Büroarbeit, mein Schatz. Wie jeden Tag. Wie es
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