Schwelbrand

benötigt Geld. Das besorgt man sich auf dem internationalen Kapitalmarkt. Und wenn Sie jemandem Geld leihen, von dessen Bonität Sie nicht so überzeugt sind, kostet es mehr Zinsen, als wenn es sich um einen risikoarmen Kandidaten handelt. So ist durch das Gerede, Griechenland würde es schlecht gehen, der Zinssatz gestiegen.«
    »Davon profitieren dann die Banken.«
    Statt einer Antwort öffnete Claus nur seine beiden Hände zu einer Geste, die Zustimmung bedeuten sollte.
    »Und das Geschäft ist risikolos, weil die Europäische Union für die Kredite eine Garantie übernommen hat.«
    »Hm«, antwortete Claus.
    »Ein tolles Geschäft für die Banken«, stellte Lüder fest. »Aber warum bewegen sich derzeit die Indizes?«
    »Kennen Sie den Ausdruck: ›Das Kapital ist ein scheues Reh‹? Es versteckt sich immer dort, wo es sicherer ist. Warum investieren Sie Ihr Geld in eine vermietete Eigentumswohnung in Deutschland und nicht im Jemen?«
    »Das ist keine wirkliche Frage«, sagte Lüder.
    »Doch. Sie kennen hier die Verhältnisse. Wir haben ein gesichertes Rechtssystem. Ihr Eigentum ist im Grundbuch verbrieft, und wenn Ihr Mieter nicht zahlt, verklagen Sie ihn. Außerdem hat Ihre Wohnung Bestand. Es werden keine Rebellen kommen, die Ihr Haus während eines Straßenkampfes zerstören. Da wären Sie sich im Jemen oder in Afghanistan nicht so sicher. Und wenn an den Grundfesten gerüttelt wird, wenn das internationale Kapital Angst um sein Investment bekommt, dann zieht es das Geld ab und bringt es woandershin. Nicht nach Irland, Portugal oder Spanien, sondern nach China.«
    »Warum dort?«
    »Weil Sie in China keine Angst haben müssen, dass die Regierung die Kontrolle verliert. Die haben alles fest im Griff. Und? Was passiert derzeit bei uns? In einem Bundesland scheint es, als wäre man dabei, die Kontrolle zu verlieren. Wenn das, was niemand für möglich gehalten hat, in einem Bundesland passiert, kann es wie ein Flächenbrand ganz Deutschland erfassen. So flüchtet das Kapital. Und wer in Deutschland investiert, geht ein größeres Risiko ein. Also steigen die Zinsen. Das ist wie eine Spirale, die sich selbstständig macht. Ist man erst einmal ins Gerede gekommen, fällt es schwer, wieder auszubrechen.«
    »Das sind doch alles nur Phantastereien«, warf Lüder ein.
    »Ich nenne Ihnen zwei Beispiele. Warum verbesserte sich schlagartig der Kurs des Dollars, als Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde? Der Mann hat keine einzige Schraube in eines der Autos der brachliegenden US-Autobauer eingedreht oder auch nur ein Kilogramm Weizen im Mittelwesten geerntet.«
    »Nach dem Desaster mit seinem Vorgänger musste es ja aufwärtsgehen«, sagte Lüder.
    »Sehen Sie. Es gibt aber auch die andere Seite, dass man kein Vertrauen mehr hat. Dann geht es abwärts. Erinnern Sie sich an die Nachricht, als Israels Premierminister Ariel Scharon durch einen Schlaganfall ins Koma fiel? Am nächsten Tag stiegen die Benzinpreise bei uns. Kein islamistischer Terrorist steckte hinter dieser Erkrankung, es gab einen Nachfolger, und nicht eine Ölquelle hat auch nur ein Barrel weniger produziert. Trotzdem reagierte der Markt. So gibt es immer wieder Spekulationen. Eine logische Erklärung, warum der Goldpreis von Woche zu Woche immer neue Rekorde erzielt, gibt es auch nicht. Es liegt wohl daran, dass die Menschen in Krisenzeiten immer schon ins Gold geflüchtet sind. Dabei dürfte es Ihnen schwerfallen, Ihren Einkauf im Supermarkt mit Goldstaub zu bezahlen. So gibt es Hinweise, dass sich etwas auf den Finanzmärkten tut. Die Leute haben Angst, der Euro könnte schwach werden, weil die Bundesrepublik instabil wird. Man versucht, eines der schwächeren Glieder anzugreifen, da man Deutschland insgesamt nicht treffen kann. Wenn es aber gelingt, zum Beispiel Schleswig-Holstein zu verunsichern, wirkt es, als hätte man einen Eckstein aus dem Gebäude herausgerissen, und alles kommt ins Wanken. Aufgrund der starken Position Deutschlands in der EU, würde der Rest mitgerissen. So empfindlich sind die Systeme heutzutage. Erinnern Sie sich an den Computerfehler eines Einzelnen, der automatisch den Computerhandel weltweit beeinflusste? Die Leute sind an den Zockerbörsen wie Lemminge und rasen blindlings hinterher.«
    »Warum versucht man es nicht mit der Manipulation von Computern?«
    »Das würde man schnell merken und die Systeme korrigieren. In diesem Fall ist es aber kein computergeneriertes Problem, sondern die Fakten kommen von außerhalb.